Zwischen Krampf und Koma – die Frau wackelt mit den Zehen

Da kennen wir uns nun schon so lange, aber sie überrascht mich immer noch. Die Rede ist von der Frau, meiner sogenannten Besitzerin. Aber ich glaube, sie hat selbst gestaunt.

Und passiert ist es – natürlich – im Reitunterricht. Da hat die Frau ja oft verwirrende Begegnungen mit sich selbst.

Wir eiern also verspannt auf dem Hufschlag herum, die Frau mit Hohlkreuz, hochgezogenen Knien und Eisenfäustchen, mit anderen Worten: im Dressurqueen-Modus. Ein geheimer Kummer scheint sie zu plagen, denn ihrer Brust entrinnen mehrere Seufzer. Meiner allerdings auch. Aber ich kenne sie ja und weiß, dass sie für gewöhnlich aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht. Da erscheint auch schon Frau Reitlehrerin, die alles weiß und vor allem alles erklären kann.

„Der Pfridolin ist so unbequem, der lässt mich gar nicht sitzen!“, klagt die Frau ihr Leid.

Prima, wenn sie atmet und spricht, ist wenigstens schon mal ein bisschen Spannung raus, denken Frau Reitlehrerin und ich zeitgleich.

Frau Reitlehrerin lächelt wissend und schlägt der Frau vor, sich doch zuallerst einmal auf ihre Hosentaschen zu setzen.

„Ich hab doch gar keine!“, erwidert die erstaunt.

Frau Reitlehrerin schlägt vor, sich die einfach mal vorzustellen und sich dann auf selbige draufzusetzen. Das klappt und fühlt sich auch gleich viel bequemer an. Klar, oder? Weil das Hohlkreuz nämlich jetzt weg ist 😊

Als nächstes kommen die Knie dran. Die Frau mag nämlich Sättel mit viel Pausche gern. Da hat man schön viel Halt, hat sie mir einmal anvertraut. Und so werden die Oberschenkel hochgezogen, die Knie wandern vollautomatisch in die Bremsklötze Pauschen und die Absätze in die Höhe. Die Frau kennt nämlich nur zwei Aggregatzustände: Krampf und Koma.

Frau Reitlehrerin runzelt die Stirn und formuliert als ungefähre Zielvorgabe: „Das Bein ist lang und locker.“

„Ja, nicht?“ strahlt die Frau. „Trotzdem ist das furchtbar unbequem hier oben.“

Ähm ja. Frau Reitlehrerin sieht ein, dass sie das Kommando schlichter formulieren muss, damit es auch bei der Frau ankommt. „Versuch mal, die Beine zu lockern und entspannt zu sitzen!“

„Mach ich doch. Hast du gerade gesagt!“, ist die Antwort.

„Das ist ein inneres Bild für dich“, lächelt Frau Reitlehrerin tapfer. „In Wirklichkeit sind deine Knie in die Pauschen geklemmt und der Oberschenkel ist hochgezogen!“

„Aha“, antwortet die Frau skeptisch.

„Doch, doch!“

Am Sitz ändert sich nichts. So viele pinke Schabracken und so wenig Körperbewusstsein!

*

Frau Reitlehrerin probiert es weiter: „Guck doch mal nach unten!“

Die Frau guckt. Tatsache! Da sind Beine und die kuscheln sich in die Pausche. Verdammt. Und jetzt?

Frau Reitlehrerin schlägt vor: „Stell dir einfach vor, du hättest keine Beine!“

„Ich bin doch kein Pinguin“, meckert meine Reiterin, entspannt aber aus Versehen ihre Beine.

„Siehst du, es klappt!“, jubelt Frau Reitlehrerin. „Und jetzt entspann die Füße!“

So ein Quatsch, wie soll das denn gehen? „Die sind entspannt“, behauptet die Frau.

Aber Frau Reitlehrerin weiß es besser: „Sind sie nicht. Deine Oberschenkel sind nämlich schon wieder nach oben gewandert und du bist bis in die Hüfte verspannt. Versuch mal, mit den Zehen Klavier zu spielen!“

„Geht’s noch?“, mault die Frau, die mit diesen esoterischen Kommandos nix anfangen kann. Klavier spielen! Mit den Zehen! So ein Blödsinn. Aber weil so eine Reitstunde Geld kostet, fühlt sie sich verpflichtet, zumindest so zu tun als ob. Sie wackelt zaghaft mit den Zehen.

Na also, das fühlt sich doch gleich viel besser an, denken sie und ich gleichzeitig. Sollte es tatsächlich etwas zwischen Krampf und Koma geben, das „geschmeidiges Mitgehen mit der Bewegung“ heißt?

Verrückt, oder? Aber ich bin ja hier nur das Pferd und hab eh keine Ahnung 😊

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