Spaziergang mit Siesta-Pferd

Die Frau muss jetzt immer mit dem Lutschi Gassi gehen. Wer ihn nicht kennt: Der Lutschi heißt eigentlich Lucero und ist unser spanisches Mähnenwunder. Und jetzt geht er Gassi. Jeden Tag. Draußen, im Gelände. Auf hartem Boden.

Das hat irgendwas mit der Sehne an seinem Aua-Bein zu tun. Nun wäre der Lutschi nicht der Lutschi, wenn er einfach so an der Spontanvegetation am Wegesrand vorbei gehen würde. Und die Frau wäre nicht die Frau, wenn sie damit lässig und elegant fertig würde.

Die ersten zwei Meter sind in der Regel unauffällig. Dann entdeckt das spanische Mähnenwunder etwas Essbares und stürzt sich mit einem Köpper in den nächsten Acker. Am Führstrick die Frau. Zeternd und mit der Gerte wedelnd. Aber dem Lutschi seine Devise ist: Kein Schmerz ist so schlimm wie der Hunger. Irgendwann passt kein Gras mehr in seinen großen, gierigen Mund und er ist bereit (und gestärkt!) für die nächsten zwei Meter.

Was eigentlich ganz praktisch ist, denn laut Tierarzt soll er 30 Minuten Schritt gehen, am nächsten Tag 35 Minuten, dann 40 und so weiter. Jetzt ist die Frau aber krankhaft pingelig und von dem ungesunden Ehrgeiz besessen, den Lutschi auch tatsächlich 30 Minuten in Bewegung zu halten. Also nicht nur die Kaumuskulatur, sondern vor allem die Beine. Und die sollten sich dabei ihrer Meinung nach nicht im Acker befinden, sondern nach Möglichkeit auf hartem Boden.

Der Lutschi möchte das nicht so gern, weil auf Asphalt wenig wächst. Außerdem widerspricht allzuviel Fortbewegung seinen Prinzipien als bekennendes Siesta-Pferd. Er bevorzugt eindeutig den Acker. Oder Wegränder. Was er mit botanischen Forschungen rechtfertigt: Da wachsen oft interessante Büsche.


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Die Frau versucht, das mit wildem Blick und wedelnder Gerte zu verhindern. Macht ja nix, denkt sich der Lutschi. Auf der anderen Seite des Weges gibt es auch leckere Dinge.

Mit einem gekonnten Seitwärtsschwung steuert das spanische Mähnenwunder die nächste Nahrungsquelle an und stopft sich hastig die Backen voll. Bis sich die Frau von ihrer Überraschung erholt hat, steht er längst wieder kauend neben ihr. Sein niedlicher Augenaufschlag sagt: War was?

Na warte, denkt sich die Frau. Beim nächsten Mal erwisch ich dich ganz bestimmt auf frischer Tat!

Der Lutschi guckt unschuldig und beißt versuchsweise in den Führstrick. Schmeckt auch ganz interessant. Die Frau meckert laut und will ihm den wieder wegnehmen. Schwupps, ist der Kopf wieder unten und lässt sich durch keine Macht der Welt wieder nach oben bewegen. Die Frau ist mittlerweile vom bloßen Gertenwedeln zu handfesten Klapsen übergegangen und zieht aus Leibeskräften am Führseil.

Das hat zur Folge, dass sich der Lutschi beim nächsten Abtauchen mit dem Kopf zu ihr hindreht, weil sie ihn so nicht so gut hauen kann. Aber zetern kann sie. Und zwar so, dass Spaziergänger stehenbleiben und sich besorgt nach ihr umdrehen.

Während die Frau zornig auf- und abhüpft, entdeckt der Lutschi die fremden Menschen. Er kennt da keinerlei Berührungsängste und nimmt freudig Kontakt auf.

Wie süß, staunt die ältere Dame, die ihm gerührt die Nase streichelt, während er den Kopf in ihre Jackentasche steckt. Wir wohnen direkt da vorne – sie zeigt auf ein Haus. Dürfen wir ihm ein paar Möhren geben?

Ohne die Antwort der Frau abzuwarten, dreht sie sich um und marschiert los. Der Lutschi wie ferngesteuert hinterher.

Notgedrungen müssen die Frau und der zugehörige ältere Mann hinterher. Die Frau, weil sie am Strick hängt, der ältere Mann, weil es sein Zuhause ist.

Der Lutschi ist hocherfreut über diese wunderbare Wendung des Spaziergangs und zeigt sich von seiner charmantesten Seite. Die Frau nicht, muss aber freudige Überraschung heucheln, weil sie Angst hat, dass das freundliche ältere Ehepaar sonst den Tierschutzverein ruft. Schließlich war sie vorhin auf dem Acker wirklich SEHR LAUT geworden und hatte SEHR BÖSE Dinge gekreischt gesagt.

Nach dem Verzehr einiger Möhren trennt man sich schweren Herzens voneinander. Also der Lutschi und seine neuen Freunde. Die Frau nicht, die will nur weg. Sie verstellt sich aber tapfer, solange die Beiden noch in Sicht- und vor allem in Hörweite sind.

„Und? Wie wars?, fragt Frau Reitlehrerin, die mit der Frau vorher noch die Basics aus dem Führtraining wiederholt hat.

Frag nicht!, zischt die und rauscht an Frau Reitlehrerin vorbei.

Mir hat der Lutschi erzählt, dass er jetzt Sportpferd wird.

Wie jetzt – Sport?, denke ich. Echt?

Ja, Ess-Dressur, nuschelt der Lutschi.

Und da bin ich ein ganz klein wenig neidisch.

Bild: Das Siesta-Pferd mit hungrigem Blick.

Wer es anders machen will als die Frau, liest bei Nadja von Pferde verstehen oder bei Julia von Ride On weiter. Auch bei Pferdekult gibt’s einen Text zum Thema.

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3 Antworten auf „Spaziergang mit Siesta-Pferd“

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