Heute war der Tierdoc da und hatte schlechte Nachrichten für den Lutschi: Er müsste die Frau wieder tragen. Die Sehne wäre wieder voll toll in Ordnung und sollte belastet werden. Er drückt das natürlich wissenschaftlich aus, aber sowas versteht das spanische Mähnenwunder ja nicht. Was es aber versteht, ist, dass unsere sogenannte Besitzerin eine Last ist. Endlich sagt es mal jemand. Ich feiere den Tierarzt dafür! Und dass die nahrhaften Wanderungen durch die Nachbarschaft ein Ende nehmen sollten.
Oh oh. Der Lutschi legt die Stirn in Denkerfalten. Also soweit man das unter dem zotteligen Schopf erkennen kann.
Aber auch die Frau ist intellektuell gefordert und dreht sich hilfesuchend zu Frau Reitlehrerin um.
„Du kannst den Lutschi jetzt allmählich auftrainieren“, übersetzt die.
Im Kopf der sogenannten Besitzerin arbeitet es. Auftrainieren! Trainieren! Wie eine… wie eine… Trainerin! Hach! Dass dieser Moment doch noch kommt! Der Frau schwillt die Brust. „Und wie soll ich ihn … ähem… TRAINIEREN?“ Das kommt doch schon ganz locker und selbstverständlich, findet sie. Trainingstechnisch ist sie ja eigentlich auch ein alter Hase. Nach den vielen Wendyheften Büchern, die sie schon gelesen hat! Und dann der ganze Reitunterricht. Endlich macht sich das bezahlt!
„Es geht los mit einer Runde Schritt auf geeignetem weichem Boden. Nach dem bisherigen Bewegungsprogramm.“
Die Frau seufzt schwer. Nimmt denn dieses schreckliche Spazierengehen auf Asphalt kein Ende? „Also erst 30 Minuten führen und dann eine Runde reiten?“
„Ganz genau. Und wenn die Sehne danach in Ordnung ist, jeden Tag eine Runde mehr. Wenn die Sehne auf die Belastung reagiert, nämlich dick oder warm wird, rufen Sie mich sofort an. Wenn nicht, telefonieren wir in einem Monat, dann geht es nämlich ans Traben.“
Uiuiui. Wo doch die Frau die schlechteste Sehnenfühlerin zwischen hier und Honolulu ist. Unsensibel ist quasi ihr zweiter Vorname. Blanke Panik steht in ihren Augen, bis Frau Reitlehrerin Hilfe anbietet.
Gottseidank. Man kann ja schließlich nicht alles können.
„Also Schritt reiten und das sukzessive steigern“, vergewissert sich die Frau beim Tierarzt.
Trainer sein gar nicht schwer. Sie wusste ja gleich, dass sie das draufhat, jubelt sie untypischerweise innerlich, beglückwünscht den Doc zu seinen diagnostischen Fähigkeiten und sich selbst zu ihren pflegerischen Erfolgen.
„Aber vorsichtig steigern“, ermahnt der Doc mit einfühlsamem Blick.
Herrlich. Der Lutschi fühlt sich verstanden und ernstgenommen. Die Frau auch.
Nur mal so am Rande bemerkt: Wegen mir könnte diese Reiterei deutlich schneller von statten gehen. Schließlich ist das ganze Rumgeschleppe seit dem tölpelhaften Missgeschick des spanischen Trampeltiers komplett an mir hängen geblieben. Ich meine – sich selbst in die Gräten treten, aus reiner schierer Doofheit – geht’s noch? Und sich dann noch monatelang für seine Ungeschicklichkeit bedauern lassen, während ich für zwei schleppen muss, was aber als ganz selbstverständlich angesehen wird? Ja oder?!
Die Frau bekommt davon natürlich nichts mit. Sie hat jetzt andere Sorgen. Wo sie doch jetzt Trainerin ist – also quasi – muss sie noch schnell ins Reitsportfachgeschäft, um die nötigen Accessoires zu erwerben: Bücher über Trainingslehre, die ungelesen verstauben werden, und irgendwas in pink. Eine neue Schabracke vielleicht? Und vielleicht noch etwas aus dem medizinischen Sortiment im Internet. Wo sie ja jetzt auch Therapeutin ist. Also fast jedenfalls.
Schabracken zum Selbstgestalten – nicht nur in Pink! *
„An den Termin mit der Osteopathin denkst du aber. Und an den Sattler auch“, erinnert Frau Reitlehrerin sanft.
„Ja klar“, lügt die Frau. Wieso denn das nun wieder? Schließlich hat sich der Lutschi ja gar nicht groß bewegt – wie soll denn da was blockiert sein?
„Der Lutschi hat ja gelahmt“, beginnt Frau Reitlehrerin im Erklär-Modus.
Die Frau nickt. Ja, hat er.
„Und dadurch das linke Vorderbein entlastet.“
Die Frau überlegt kurz und nickt wieder.
„Und deshalb andere Körperteile falsch belastet, um das zu kompensieren.“
Die Frau runzelt die Stirn, muss Frau Reitlehrerin aber recht geben. „Und dabei sind wahrscheinlich Blockaden entstanden, die gelöst werden müssen!“, erklärt sie triumphierend, als wäre sie von ganz allein auf die Idee gekommen.
Frau Reitlehrerin ist eine gute Pädagogin und lobt sie für diese bahnbrechende Erkenntnis.
In der Frau arbeitet es weiter. „Und weil der Lutschi so lange keinen Sport mehr treiben konnte, hat sich sein Rücken verändert und der Sattel passt nicht mehr!“ Beifallheischend sieht sie Frau Reitlehrerin an. Ungefähr so wie der Lutschi, wenn er nach Leckerlis giert. Nur, damit ihr eine ungefähre Vorstellung habt.
„Braaaav“, lobt Frau Reitlehrerin. Der Tierarzt, der das Gespräch erstaunt mitverfolgt hat, fühlt sich angesprochen und freut sich. Der Lutschi auch, weil er generell leicht zu beeindrucken und naiv ist.
Dieses Trainersein ist gar nicht so schwer, findet die Frau und übt ein bescheidenes Lächeln ein. Und ich gehe sicherheitshalber in Deckung, bevor sie noch irgendwas von ihren neuen Fähigkeiten an mir ausprobieren will.
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