Ja wo isser denn nur?

„Ja wo isser denn? Wo isser denn nur?“, piepst die Frau und guckt mir tief in die Augen.

Direkt vor deiner Nase, du Blindfisch. Oder wie heißen die Tiere, bei denen das Gehirn keine Verbindung zum restlichen Körper hat? Aber wenn sie mich eh nicht sieht, isses auch egal. Ich wende mich ab und versuche, meinen Anbindestrick aufzuknoten, denn ich weiß schon, wie es gleich weitergeht.

Die Frau hat nämlich in ihren Wendyheften Pferdezeitschriften gelesen, dass es eine Studie gibt, wonach Pferde am besten auf Babysprache reagieren. Seitdem ist ihr IQ im freien Fall und orientiert sich ungefähr an der Außentemperatur.

Und richtig, sie macht wieder ihre schreckliche Kleinkindstimme und quiekt: „Ja wo isser denn nur? Wo isser denn, der gute Bub?“

Wenn sie wenigstens Leckerli dabeihätte. Ich will nicht sagen, dass ich käuflich bin, bestechlich hingegen schon. Große Mengen Kekse machen einfach eine schöne Atmosphäre. Aber hatse nich, also keine schöne Stimmung. Ich gucke beleidigt.

*

Aber die Frau, deren Aufmerksamkeitsspanne hart gegen Null tendiert, ist schon zur Box des spanischen Mähnenwunders weitergegangen, das ihr durch seinen zotteligen Schopf erwartungsvoll entgegenblinzelt.

„Dutzidutzidu, du Süßer“, säuselt sie den Lutschi an. Der guckt interessiert und fragt sich anscheinend, was er tun muss, um Leckerli zu erbeuten. Wenn ich das wüsste, wären wir alle schon ein ganzes Stück weiter. Aber der Lutschi ist jung, der muss noch viel lernen.

„Ja wo isser denn? Ja wo isser denn, der Süße?“, quietscht die Frau weiter und wartet, wie mir scheint, auf Antwort.

Ich kann es nicht mehr ertragen und bearbeite meinen Anbindestrick weiter. Manchmal muss ein Pferd eben tun, was ein Pferd tun muss. Zuerst habe ich das ja noch dezent gemacht, aber die sogenannte Besitzerin ist so weit in anderen Sphären, dass sie es noch nicht mal merken würde, wenn ich ihr die Schuhe ausziehe.

Geschafft, der Knoten ist auf. Vorsichtig sehe ich mich um. Unnötig, ich weiß, aber die Macht der Gewohnheit ist stark. Die sogenannte Besitzerin sagt „Kutschikutschi-ku“ zum spanischen Mähnenwunder und kriegt wie immer nichts mit.

Und dann bin ich auch schon um die Ecke. Vor mir die Weide und die Freiheit. Ich entscheide mich für die Weide. Liebe geht schließlich durch den Magen.

Und weit hinter mir die Frau, die sich suchend umsieht. „Wo ist denn jetzt der Pfridolin hin?“

Ja wo isser denn? Wo isser denn nur?

Bild: Liebe geht durch den Magen!

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