„Der läuft doch komisch, oder?“ Unsicher blinzelt die Frau, unsere sogenannte Besitzerin, dem Lutschi hinterher, der ja bekanntlich unser spanisches Mähnenwunder ist. Eilig herbeizitierte andere Einstallerinnen bestätigen diesen Eindruck. Umso größer die Erleichterung, als dem Lutschi beim Hufeauskratzen ein fieser Stein aus dem Huf herausgepult werden kann, der für das komische Laufen verantwortlich war. Aber trotzdem. So etwas wie Verantwortungsbewusstsein regt sich in ihr. Und setzt ihr die Idee in den Kopf, wenn sie schon nicht reiten kann, dann doch wenigstens sehen zu lernen. Jetzt bitte nicht falsch verstehen, nach ihrer eigenen Einschätzung reitet die Frau mindestens wie Wiener Hofreitschule und Ingrid Klimke zusammen.
Aber Frau Reitlehrerin hat doch verschiedentlich etwas an ihren Bemühungen auszusetzen. Eigentlich sehr häufig. Und deshalb will die Frau jetzt etwas machen, was außer Frau Reitlehrerin sonst keiner kann. Gucken nämlich. Beziehungsweise sehen lernen. Auf kleinste Unregelmäßigkeiten im Gangbild achten und die auch zuordnen können. Das ist aber geheim und niemand darf es wissen. Also dass die Frau gelegentlich von Selbstzweifeln geplagt wird. Nach außen ist sie nach wie vor so „Hohoho, und morgen Piaffe!“, aber ein ganz leises Stimmchen in ihr hat befohlen, diesen Kurs zu kaufen und Sachverständige für Ganganalyse zu werden. Schließlich weiß man nicht, wann man diese Kunst einmal brauchen kann, und man kann sich damit wichtigtun. Und! Frau Reitlehrerin findet es gut. Die ist ja grundsätzlich ein Fan von Blickschulung und meint, dass man den Pferden so einiges Elend ersparen kann, wenn man gescheit gucken kann. Unnötig zu erwähnen, dass Frau Reitlehrerin Adleraugen hat und JEDE Unregelmäßigkeit erkennt. Das will die sogenannte Besitzerin auch können.
*
Und dann geht’s auch schon los. Erster Eindruck: Boah 😮 Der Kurs besteht aus über hundert Videos und einer unfassbaren Anzahl von Lernmodulen. Ich hab euch hier mal eine Übersicht verlinkt. Aber keine Sorge, man muss das nicht sofort bearbeiten, die Fortbildung steht drei Jahre lang zur Verfügung und man kann sie so oft machen, wie man möchte. Überhaupt, das Organisatorische. Der Kurs wird von Claudia Weingand – auch bekannt als Frau Osteo von OsteoDressage – und Dr. Bettina Liebscher gegeben und ist eine Weiterbildung für Trainer, Tierärzte und Pferdebesitzer. Mit anderen Worten: Der Kurs kann was. Claudia ist osteopathische Pferdetherapeutin, erfolgreiche Fachbuchautorin und betreibt gemeinsam mit Katharina Möller ein Trainingszentrum in Süddeutschland. Dr. Bettina Liebscher ist Tierärztin und unter anderem Expertin für Ganganalyse und Lahmheitsdiagnostik.
Der Onlinekurs Ganganalyse umfasst mehr als sieben Stunden Videomaterial, zahlreiche Videoquizze und ist so aufgebaut, dass die nächsten Module jeweils nur nach Bestehen eines Videoquiz freigeschaltet werden. Das führt in der Praxis dazu, dass man die meisten Videos mehrfach anschaut – im Fall der sogenannten Besitzerin auch in Zeitlupe, damit man ja nur alle Feinheiten erkennt, die Claudia und Dr. Bettina beschreiben. Kostenpunkt 850 Euro, wovon ihr euch mit dem Gutscheincode PFRIDOLIN10 zehn Prozent ersparen könnt.
Nach Besichtigung der ersten Inhalte hat die sogenannte Besitzerin erstmal einen kleinen Kulturschock. Ganz so anspruchs- und gehaltvoll hat sie sich das nicht vorgestellt. Aber es hilft ja nix, wenn sich was ändern soll, muss man auch was ändern. Und wo doch Frau Reitlehrerin auch so sehr dafür ist. Brav setzt sie sich also hin und nimmt ihre Studien auf. Ein Glück, dass Claudia und Dr. Bettina diverse Folien integriert haben, auf denen das Wichtigste stichpunktartig zusammengefasst ist. Trotzdem muss man sich eigene Notizen machen, was der Frau spätestens bei der ersten Selbstlernaufgabe auffällt. Und was sie sehr beruhigt: sie ist nicht die Einzige, die sich mit manchen Aufgaben schwertut, wie man an den Kommentaren zu den einzelnen Modulen erkennt. An dieser Stelle ein ganz großes Lob an die Dozentinnen: Auf jeden Kommentar wird zeitnah eingegangen, und zwar so lange, bis alle Unklarheiten beseitigt sind.
Und dann ist es so weit. Die sogenannte Besitzerin hat schon einige Module hinter sich, aufmerksam Pferdevideos studiert – zum Teil, bis ihr die Augen viereckig wurden – , Wissensfragen richtig beantwortet (jaha, diese Sorte Quiz kommt auch mehrfach vor) – jetzt kommt die erste richtige Challenge: Ein vierteiliges Videoquiz. Das erste von vielen, wie sie später feststellt. Dank mehrmaliger Wiederholung der zugrundeliegenden Module und unter häufiger Nutzung der Zeitlupenfunktion beim Videoplayer kann sie dann auch irgendwann die Fragen richtig beantworten und weiterlernen. Und sie stellt fest: Claudia und Dr. Bettina haben ein System entwickelt, das es sogar ihr ermöglicht, strukturiert Ganganalyse zu betreiben. Fleißig üben hilft dabei sehr.
Jetzt, sehr viel später, wo sie tatsächlich alle Teile und alle Level hinter sich gebracht hat, ist sie stolz wie Bolle. Sie spricht inzwischen auch fließend proximal und distal und kann mit ihrem medizinisch erweiterten Wortschatz so ziemlich jeden anderen Einstaller an die Wand quatschen. Allein dafür hat sich der Kurs gelohnt, findet sie. Ansonsten wichtig: das Ethogramm von Sue Dyson, das dabei hilft, subtile Schmerzzeichen zu erkennen. Worüber sich die sogenannte Besitzerin noch freut: endlich hat sie eine Definition von eilig, das sind nämlich über 40 Tritte in 15 Sekunden. Weniger als 35 Tritte in 15 Sekunden ist wiederum zu langsam. Wobei sie die Bezeichnung „versammelt“ bevorzugt, aber nur, wenn Frau Reitlehrerin nicht zuhört 😀
Auf Aussagen wie „Der läuft so, weil er einen Beckenschiefstand hat“ und „Der läuft komisch, aber nicht lahm“ reagiert sie jetzt jedenfalls ausgesprochen aufmerksam bis humorlos. Wer den Kurs bis hierhin geschafft und sich somit einiges an Wissen und Beobachtungsgabe erarbeitet hat, aber trotzdem noch unsicher ist, weil man ja beim eigenen Pferd möglicherweise anders guckt als bei fremden Pferden, der kann jetzt noch eine zusätzliche Video-Ganganalyse buchen. Wobei einen Claudia und Dr Bettina während des Kurses ganz schön rannehmen, da erwirbt man schon fundierte Fachkenntnisse.
Pro: Ein sehr hochwertiger und umfangreicher Kurs mit einer ausgefuchsten Didaktik und einem eigenen Modul für Gangpferde. Das dürfte so ziemlich einzigartig sein. Und: Folien mit Stichpunkten. Eigene Notizen sind natürlich auch prima und in einigen Fällen zwingend erforderlich, zum Beispiel bei den Videoquizzen und den Selbstlernaufgaben, aber ansonsten sind die Folien mega, weil die wichtigsten Punkte darauf zusammengefasst sind.
Kontra: Was lästig ist, ist das dauernde Schaulaufen, damit Madame unsere Körperteile besichtigen kann. Gottseidank ist sie irgendwann auf den Trichter gekommen – beziehungsweise es wurde im Kurs ausdrücklich empfohlen – auf Videos zurückzugreifen, damit die Pferde nicht ständig zu Studienzwecken hin- und herrennen müssen. Manchmal (selten) ist der Ton etwas leise.
Fazit: Bitte unbedingt kaufen! Ihr bekommt eine anspruchsvolle Fortbildung, von der ihr aber auch richtig profitieren könnt – vor allem eure Pferde. So könnt ihr Lahmheiten frühzeitig erkennen, bevor sie sich zu einem gravierenden Problem entwickeln. Und mal ganz ehrlich: Ich würde dem spanischen Mähnenwunder die Frührente auch gar nicht gönnen 😛
Bild: Maresa Mader
* = Das ist ein Affiliate Link. Wenn ihr hierdrauf klickt und etwas kauft, kostet es euch nicht mehr, aber ich bekomme ein paar Cent für Möhren. Was toll wäre, weil dieses Schreiben nämlich total anstrengend ist ❤️