In die Wendung drehen like a Fragezeichen

Einmal einen schönen runden Zirkel hinkriegen und dann was anderes machen, das wärs doch. Statt dessen nötigt mich meine ungeschickte, aber hochmotivierte Besitzerin, auch bekannt als „die Frau“, zu einem Achteck nach dem anderen. Mit Ausbeulungen an Stellen, wo keiner mit gerechnet hat und wo definitiv auch keine hingehören. Nach der drölfzigsten Zirkelrunde erbarmt sich Frau Reitlehrerin, die zufällig gerade vorbeikommt, und bietet eine Spontanreitstunde an.

„Aha“, erwidert die Frau misstrauisch. Die will sich doch nur an mir bereichern, denkt sie. Laut fragt sie: „Wieso denn das?“

Frau Reitlehrerin strahlt: „Ich glaube, ihr habt euch da gerade festgefahren und da würde ich euch gern helfen.“

Bevor es noch schlimmer wird, denke ich und unsere Blicke treffen sich.

Manchmal denke ich, Frau Reitlehrerin ist der einzige Mensch, der mich wirklich versteht. Manchmal auch der Mann. Der ist immer entspannt und großzügig mit den Leckerlis. Die Frau wirft ihm mangelnden reiterlichen Ehrgeiz vor, aber nur, wenn er gerade keine Traversalen reitet. Da kriegt sie dann auch wieder schlechte Laune, aber anders.

„Hmpf“, macht sie jetzt gerade, kann aber schlecht abstreiten, dass die Zirkel immer merkwürdiger geformt sind und die Laune auf dem absteigenden Ast ist. Sowohl ihre wie auch meine.

* Macht gute Laune: mein allerneuestes Buch!

Frau Reitlehrerin begrüßt uns nett und lässt sich von der Frau berichten, wie lange sie schon auf mir draufhockt sitzt und was wir bisher alles gemacht haben, bevor sie sich in die Zirkelmitte stellt. Das macht schon mal schöne Stimmung. Der Unterkiefer der Frau mahlt fast gar nicht mehr und sie kann in vollständigen Sätzen sprechen, weil sie annähernd entspannt ist. Jetzt geht’s ans Zirkelreiten. Erstmal im Schritt, weil Frau Reitlehrerin der Frau ein großes Geheimnis anvertrauen will. Nämlich, was es mit dem „Sich-in-die-Wendung-reindrehen“ auf sich hat.

„Weiß ich doch“, winkt die ab. „Man dreht sich in die Wendung, damit man die richtige Gewichtshilfe und die richtige Zügelhilfe gibt. Macht man aber nicht nur beim Zirkel, sondern auch bei Ecken. Bei allen gebogenen Linien eigentlich.“

Sieh an. Dieses Wissen hast du aber die ganze Zeit fein für dich behalten, denke ich.

„Genau richtig!“, jubelt Frau Reitlehrerin diplomatisch.

„So zum Beispiel“, erklärt die Frau und verdreht den Kopf wie eine Eule.

*

„Du müsstest halt noch die Schultern mitnehmen. Nur den Kopf drehen hilft nicht. Dann knickst du nämlich in der Hüfte ein und gibst dem Pfridolin genau die falsche Gewichtshilfe.“

„Ach?“, argwöhnt die Frau. „Ich finde, ich drehe den ganzen Oberkörper.“

Frau Reitlehrerin macht ein schnelles Beweisvideo mit dem Handy. „Guck mal, am Reißverschluss deiner Jacke kann man das ganz prima sehen. Weil der in einer anderen Farbe ist, sieht man gut, wie sich dein Oberkörper verdreht. Eigentlich soll er sich wie eine Säule drehen, ganz gleichmäßig. Siehst du, diese Zickzacklinie meine ich. Wenn du die Schultern mitdrehst und dir dabei das Bild der Säule vorstellst, wird es besser.“

Skeptisch schielt die Frau aufs Display und stellt fest: „Da kann ich ja nix für, wenn der Reißverschluss so doof aussieht. Ich mag die Jacke eh nicht.“

Als ob du mit einer anderen Jacke besser reiten würdest, denke ich und mache einen Ausfallschritt, um das ungleich verteilte Gewicht auszubalancieren.

Wir unternehmen einen neuen Zirkelversuch. Den einundrölfzigsten, um genau zu sein.

„Und jetzt stellst du dir ganz genau vor, wie du einen wirklich runden Zirkel reitest“, ruft Frau Reitlehrerin gut gelaunt. „Dabei schaust du zu mir, drehst beide Schultern mit und denkst an die sich drehende Säule.“

„Puh“, macht die Frau.

„Und das Atmen nicht vergessen!“

*

Huch, da war doch was. Hastig schnappt die Frau nach Luft.

„Und jetzt stellst du dir noch vor, du hättest im Bauchnabel einen Scheinwerfer.“

Du immer mit deinen esoterischen Anwandlungen, denkt die Frau, hütet sich aber, das auszusprechen, denn irgendwie hat es bisher immer geholfen.

„Und der Scheinwerfer,“ fährt Frau Reitlehrerin fort, „leuchtet genau die nächsten Meter deines Zirkels aus.“

Die Frau nickt tapfer und bemüht ihre Fantasie. Und siehe da, es klappt! Der Zirkel rundet sich, Frau Reitlehrerin jubelt, Zügel lang, geradeaus, Pause!

„Dieses ganze Denken immer“, staunt die Frau. „Auf was man sich beim Reiten so alles konzentrieren muss!“

Aufs Reiten zum Beispiel, denke ich. Aber ich bin ja hier nur das Pferd und hab eh keine Ahnung.

Bild: Findet auch, dass Reiten und vor allem Zirkel total überbewertet werden.

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