Die Frau treibt Reitkunst

Vor Frau Reitlehrerins erstaunt geweiteten Augen zeigt sich folgendes Bild: Die Frau im Wallekleid, Gerte aufrecht in einer Hand, das spanische Mähnenwunder mit einer Trense, die mehr Messing und Klunkern hat als Leder und der Mann mit nachdenklichem Blick, die Kamera im Anschlag. Da gehen die neue Schabracke und der ebenfalls neue, eigenartig geformte Sattel etwas unter. Sie reibt sich die Augen.

„Original iberisch!“, antwortet die Frau auf Nachfrage stolz. Und: „Tolles Kleid, oder?“

„Ja, sieht interessant aus“, lächelt Frau Reitlehrerin. Und wir alle wissen, was das bedeutet: Interessant ist die kleine Schwester von scheiße. Aber egal, die sogenannte Besitzerin weiß es nicht und ist glücklich.

„Aber mal was ganz anderes: Wollten wir nicht Reitunterricht machen?“, erkundigt sich Frau Reitlehrerin.

„Ja schon, aber ich mache jetzt Reitkunst“, erwidert die Frau von oben herab und lässt vor lauter Künstlertum die Gerte fallen. Frau Reitlehrerin hebt sie auf und gibt sie ihr wieder.

„Und da muss man die Gerte so halten?“, erkundigt sie sich.

„Das sieht auf den Fotos besser aus“, antwortet die Frau hoheitsvoll.

„Ach so, na dann. Und wie genau machst du diese Reitkunst?“

„Na so“, zeigt die Frau und setzt den Lutschi der eigentlich Lucero heißt und unser spanisches Mähnenwunder ist, in Bewegung. Ich gucke sicherheitshalber von der Weide aus zu, denn bei den Reitversuchen unserer gemeinsamen Besitzerin gibt es immer was zu lachen. „Da staunst du, was?“, ruft sie gerade.

In der Tat. Der Lutschi und die Frau zeigen irgendwelche erfundenen Lektionen, wobei die Frau darauf hinweist, dass das „oooooriginal von den alten Meistern“ so übernommen wurde. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Osterei und Mittelhandwendung wirklich zur klassischen Reiterei gehören. Ganz zu schweigen von den mehrfach gezeigten Gangarten Tralopp und Schrab.

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„Hab ich alles im Internet gesehen“, kräht die Frau. „Klappt auch schon super!“ Wer hätte gedacht, dass die alten Meister auf Social Media aktiv sind. Das Leben steckt voller Überraschungen.

Aber schon praktisch, so ein Wallekleid: Da sieht man weder, was für Hilfen die Frau gibt (oder nicht gibt) noch die sparsame Hinterhandaktivität vom Lutschi. Der sich im Übrigen ähnlich temperamentvoll zeigt wie eine gehbehinderte Schildkröte, weil seine Reiterin dem Irrglauben anhängt, Versammlung wäre nur ein anderes Wort für langsam reiten.

Endlich ist die Frau fertig mit ihrer Demonstration und lenkt meinen sogenannten kleinen Bruder zu Frau Reitlehrerin in die Bahnmitte, wo er glückselig einparkt und sofort entschlummert. „Wie ein Gemälde, nicht wahr?“, sagt die Frau hoheitsvoll und streichelt dem spanischen Mähnenwunder den Hals. „Weil es ja Kunst ist.“ Der Mann muss derweil Fotos anfertigen, „weil die im Stand ja doch immer am schönsten sind. Und wegen der Kunst“. Und weil man beim Rumstehen nicht so viel falsch machen kann wie in der Bewegung, aber ich bin ja nur das Pferd und hab eh keine Ahnung.

Frau Reitlehrerin hatte inzwischen Zeit, das Gesehene zu verarbeiten und ein diplomatisches Feedback zu formulieren: „Das ist ja schön, dass du für dich so ein interessantes Reitoutfit gefunden hast. Für den Unterricht ist es allerdings ein ganz klein bisschen unpraktisch, weil ich so deinen Sitz nicht korrigieren kann.“

„Brauchst du auch nicht“, beruhigt die Frau. „Der war topp.“

„Bis vielleicht auf das eine Mal, als der Lutschi im Galopp nicht durchgesprungen ist.“

„Ja, schon.“

„Und das eine Mal, als er dir im Trab so sehr auf die Vorhand gekommen ist.“

„Ja, schon. Aber abgesehen davon war es toll.“

„Bis auf das eine Mal, als er dir falsch angaloppiert ist.“

„Ja, schon.“

Mit anderen Worten: Kunst kommt von Können, und du kannst es nicht. Und ganz eventuell ersetzt ein YouTube-Video keinen Reitunterricht. Frau Reitlehrerin ist aber zu sehr Pädagogin, um das der Frau genau so um die Ohren zu hauen. Gerade lobt sie sie für die Einsicht, dass es ohne die Basics in der Reiterei nicht klappt. Der Frau ist es zwar neu, dass sie sich lieber um langweilige Grundlagenarbeit und Sitzschulung kümmern will statt um spannende Lektionen mit interessanten Namen, aber sie wird gern gelobt und nickt zu allem weiterem.

Frau Reitlehrerin ist froh, dass sie die Frau reiterlich wieder auf den Pfad der Tugend gebracht hat und schafft es, dass der Lutschi und die Frau noch ein paar manierliche Runden drehen. Mit diesem schönen Erfolgserlebnis beschließt sie die Stunde. Die Frau bedankt sich artig und bekommt einen träumerischen Gesichtsausdruck. „Und weißt du was? Jetzt, wo das so gut klappt, bring ich dem Lutschi das Steigen bei. Das ist Hohe Schule und sieht auf Fotos immer soooo schön aus!“

„Das besprechen wir in der nächsten Stunde“, kichert Frau Reitlehrerin und verabschiedet sich. Zurück bleiben ein spanisches Mähnenwunder und seine Reiterin, die sich den Kopf darüber zerbricht, was sie denn jetzt schon wieder Komisches gesagt hat. Aber schließlich hat Frau Reitlehrerin immer gute Laune, da hat das wohl nichts zu bedeuten. Oder? Ooooooder?


Bild: Das spanische Mähnenwunder treibt Wälzkunst

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