„Wie läuft denn der Rudi so?“, erkundigt sich die Frau, für ihre Verhältnisse ungewohnt empathisch. Das sind sicherlich noch die guten Vorsätze, die aus ihr rauswollen.
„Oh, ganz gut eigentlich“, erwidert Rudis Besitzerin. „Aus dem Krankenpaddock ist er jedenfalls ausgebüxt, da kann es ihm ja nicht so weh tun. Vielleicht ist es auch gar keine Hufrehe.“
„Oh, ah, gut“, antwortet die Frau unbestimmt. Sie ist ja sonst Naturtalent in allem, aber mit Hufrehe kennt sie sich grade nicht aus. Da geht es ihr wie Rudis Besitzerin, die davon auch keine Ahnung hat. Suchend blickt sie sich um. „Wo ist er denn jetzt?“
„Oh, bei den anderen, in der Wallachgruppe“ antwortet Rudis Besitzerin und deutet auf den Horizont. „Siehst du, er läuft ganz gut. Das mit dem Krankenpaddock kann ich mir sparen.“
„Kriegt er denn Schmerzmittel?“
„Ja klar, volle Dröhnung. Für meinen Rudi nur das Beste.“
„Und hat der Tierarzt gesagt, dass er sich bewegen soll?“
„Eigentlich nicht“, antwortet Frau Rudi fröhlich. „Der hat nur gesagt, ich soll Heparin spritzen und er käme in zwei Tagen wieder.“
„Und warum Heparin? Und das spritzt du selber in den Rudi rein?“, gruselt sich die sogenannte Besitzerin.
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„Keine Ahnung. Komisch, oder?“
Ich bin ja hier nur das Pferd und hab für gewöhnlich keine Ahnung, aber sogar ich kann mich daran erinnern, dass der Tierarzt sehr viel zum Thema Rehe gesagt hat, was aber bei Rudis Besitzerin offensichtlich nicht hängengeblieben ist. Zum Glück kommt gerade Frau Reitlehrerin vorbei und erkundigt sich nach dem Patienten.
„Er läuft ganz gut“, berichtet seine Besitzerin stolz.
Für einen kurzen Moment sieht es so aus, als würde Frau Reitlehrerin ihr pädagogisches Lächeln verlieren. Dann fängt sie sich wieder und teilt mit – freundlich lächelnd, aber streng – , dass Rudi vorerst gar nicht laufen sollte. Solange er Schmerzmittel bekommt und mit der Diagnose Rehe dasteht. Weil nämlich eins der Dinge, die während einer Hufrehe passieren, die Trennung des Hufbeinträgers ist. Frau Rudi guckt verständnislos. Die sogenannte Besitzerin nicht minder.
„Der Hufbeinträger“, übersetzt Frau Reitlehrerin, „ist die Struktur, die das Hufbein im Huf an Ort und Stelle hält. Das Pferd hängt quasi mit seinem ganzen Gewicht in dem Hufbeinträger. Bei einer Hufrehe kommt es dazu, dass sich die Strukturen, die den Hufbeinträger darstellen, voneinander lösen, was sehr schmerzhaft ist.“
„Deshalb das Schmerzmittel“, nickt Frau Rudi wissend.
„Und was passiert, wenn der Hufbeinträger das Hufbein nicht mehr halten kann, weil er gerade zerreißt?“, fragt Frau Reitlehrerin und beantwortet sich die Frage sicherheitshalber selbst: „Die Hornkapsel kann sich vom Hufbein lockern und im schlimmsten Fall bricht das Hufbein durch die Sohle. Es ist auch möglich, dass Pferde komplett ausschuhen, also die Hornkapsel verlieren.“
„Ach was, der Rudi läuft so gut, der hat keine Schmerzen“, erwidert Rudis Besitzerin gelassen.
„Ja, weil er randvoll mit Schmerzmitteln ist“, erinnert sich die Frau.
„Stimmt ja! Ogottogott!“ Jetzt fällt es auch Frau Rudi wieder ein.
„Deshalb sollte er sich möglichst wenig bewegen“, erklärt Frau Reitlehrerin. „Um weiteren Schaden zu verhindern. Ich bin zwar keine Tierärztin, aber so kenne ich das von anderen Pferden.“
„Aber er bleibt doch nicht auf dem Krankenpaddock“, jammert Frau Rudi.
„Schlimmstenfalls kommt er in eine ganz dick eingestreute Box, gern auch mit einem anderen Pferd daneben“, schlägt Frau Reitlehrerin vor.
„Und warum muss ich ihm Heparin spritzen?“, fragt Frau Rudi, und Frau Reitlehrerin antwortet: „Ich bin ja kein Tierarzt, aber ich denke, zur Blutverdünnung. Um die Durchblutung in den Hufen zu verbessern. Wann kommt der Tierarzt wieder? Morgen? Dann machst du dir am besten vorher einen Zettel mit deinen Fragen fertig und schreibst dir die Antworten auf.“ Als sie Frau Rudis langes Gesicht sieht, fügt sie hinzu: „Oder du machst dir eine Sprachnotiz.“
„Das geht auch?“, staunt Frau Rudi und Frau Reitlehrerin nickt weise. „Ich glaube, dein Handy kann das. Und jetzt fang dir deinen Patienten ein!“
Gehorsam zieht Frau Rudi los. Die sogenannte Besitzerin begleitet sie, und gemeinsam verarbeiten sie das soeben Gehörte. Menschen, ne. Krone der Schöpfung. Kannste dir nicht ausdenken, sowas 😛
Bild: Pixabay
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