Kennt ihr „Anlehnung“? Also nicht auf den Zügel legen (wenn man ein Pferd ist) oder sich an selbigem festhalten (wenn man ein Mensch ist), sondern die Sorte Anlehnung, von der Frau Reitlehrerin sagt, dass sie richtig ist? Also ich nicht. Bei uns gibt es das Gebiss, den Zügel und die krampfige kleine Hand der Frau, meiner neuerdings so weichgespülten und lernwilligen Besitzerin.
Frau Reitlehrerin kriegt dann immer Zustände, aber auf pädagogische Art. „Die Anlehnung wird vom Pferd gesucht und vom Reiter gestattet“, erklärt sie. „Es ist also keine gute Idee, die Zügel so kurz zu nehmen, bis du einen Widerstand spürst. Wenn du mal in den Spiegel guckst, siehst du, dass der Pfridolin viel zu eng im Genick und seine Nase hinter der Senkrechten ist.“
Wo ich mich doch so anstrenge! Immer hat die was zu meckern, denkt die Frau und macht ein Gesicht, das fast genauso lang ist wie meines.
„Wir machen jetzt erst eine Übung für mehr Körperspannung“, lächelt Frau Reitlehrerin. Hoffentlich ohne diese bescheuerten inneren Bilder, denkt die Frau. Und sie hat Glück. Keine inneren Bilder, dafür soll sie aber die Zügel nur noch an der Schnalle festhalten und sich leichttrabend fortbewegen. Erstmal ganze Bahn, weil da das lästige Lenken wegfällt, dann aber auch auf dem Zirkel. Das klappt erstaunlich gut, weil die Frau mittlerweile gemerkt hat, dass das ganze Diskutieren mit Frau Reitlehrerin viel anstrengender ist als gleich in die Übung einzusteigen. Erwähnte ich bereits, dass Frau Reitlehrerin eine gewiefte Psychologin und eine noch bessere Ausbilderin ist?
Die Frau turnt also auf mir herum, dass es eine Freude ist, und stellt dabei fest, dass sie die Zügel gar nicht mehr zum Festhalten braucht. Frau Reitlehrerin erklärt, dass es bei der sagenumwobenen Anlehnung, unter der sich die Frau beim besten Willen nix vorstellen kann, darum geht, mir einen Rahmen zu geben, damit ich den Rücken aufwölben kann. Was total gut für mich wäre und auch bequemer für die Frau. Die Frau merkt auf. Bequem ist gut. Gesund erst recht. Damit sie eine ungefähre Vorstellung bekommt, greift Frau Reitlehrerin in die Zügel und demonstriert, wie sich das mit der Anlehnung anfühlen soll. Nämlich wie eine ganz nette, ganz leichte, gleichmäßige Verbindung, die aber (wichtige Info!) vom Pferd ausgeht.
„Ja und wie mache ich das dann?“, erkundigt sich die sogenannte Besitzerin.
„Mit ganz viel Gefühl. Denk immer daran, dass deine Hände dem Pferd gehören. Du folgst dem Pferdemaul mit deinen beweglichen Fingern und sonstigen Gelenken.“
„Jetzt muss ich auch noch Gefühle haben! Boah, ist das schwer“, meckert die Frau, der so langsam die guten Vorsätze ausgehen. „Und außerdem muss die Rübe runter und wenn man einen Rahmen gibt, gibt man doch Druck in alle Richtungen gleichzeitig.“
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Kommen wir nun zum Zusammenspiel der Hilfen und seiner Wirkung auf unsereinen. Ich meine – hallo?! Was soll man denn bitteschön davon halten, wenn die Reiterin gleichzeitig auf Gas und Bremse steht? Ich spreche jetzt nicht von den armen Gehirntoten, die komplett mürbe geritten wurden, sondern von einem normal aufgeschlossenen Pferd, das gern die Idee hinter den Hilfen verstehen möchte. Druck aufs Gebiss – oder was es meist ist: am Zügel ziehen – heißt langsamer. Mehr ziehen heißt stehen bleiben, und noch mehr ziehen rückwärts. Gleichzeitig wird aber auch lustig getrieben, denn viel hilft viel. Also ziehen und treiben. Das kann heißen: Ich weiß nicht, was ich will. Oder: Geh rückwärts. Oder: Mach dich rund und geh am Zügel, du Mistvieh. Oooder man hat jemand wie unsere Frau Reitlehrerin, die genau erklären kann, dass Hand und Bein nicht gleichzeitig einwirken, sondern minimal versetzt. Ach guck. Die Frau staunt. Aber Frau Reitlehrerin ist noch nicht fertig: „Du kannst die Beizäumung nicht mit der Hand erzwingen, da kannst du höchstens den Hals krumm ziehen, so dass der Pfridolin einen falschen Knick bekommt.“
„Aber das macht doch jeder so“, verteidigt sich meine Reiterin.
„Dadurch wird es aber noch lange nicht richtig. Das Genick soll der höchste Punkt sein und die Nase vor der Senkrechten. Die Beizäumung ergibt sich dadurch, dass dein Pferd korrekt an den Zügel herantritt, wofür die Aktivität der Hinterhand entscheidend ist.“
„Verstehe ich nicht. Reiten ist überhaupt ein doofer Sport, Minigolf ist viel schöner“, moppert die Frau.
Frau Reitlehrerin erklärt geduldig lächelnd: „Du nimmst die Zügel jetzt ganz allmählich wieder auf, so dass sich der Pfridolin auf das veränderte Zügelmaß einstellen kann. Du willst ihn ja nicht überfallen.“
„Auf dem seine Gefühle muss ich auch noch Rücksicht nehmen“, stöhnt die Frau.
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„Genau“, lächelt Frau Reitlehrerin unerschütterlich. „Und jetzt stellst du dir vor, dass du mit den Zügeln Energie nach vorne gibst.“
„Das kann ich nicht.“
„Dann stell dir vor, die Zügel wären Feuerwehrschläuche. So entsteht eine ganz andere Bewegungsdynamik.“ Ja, nämlich nach vorne. „Ogottogott, das ist aber schnell“, stöhnt die Frau und klammert sich an die Zügel.
„Feuerwehrschläuche“, ruft Frau Reitlehrerin beschwörend und die Frau hört auf zu ziehen.
„Genau so muss es sein“, strahlt Frau Reitlehrerin. „Die Hinterhand fußt dynamisch ab. Diese Bewegungsenergie musst du erhalten. Und dann geht der Pfridolin von ganz allein am Zügel, ohne dass du groß was dafür tun musst. Einfach die Bewegung fließen lassen und entspannt ein paar Übergänge reiten.“
Die sogenannte Besitzerin ist nicht überzeigt, tut aber, wie ihr geheißen.
„Guck, jetzt streckt sich der Pfridolin an den Zügel heran und fragt, ob das ok ist. Du bleibst weich mit deinen Händen und sagst ihm dadurch, dass das genau die Anlehnung ist, die du möchtest.“
„Und wenn er das nicht macht?“
„Dann kannst du es nicht erzwingen. Die Anlehnung muss vom Pferd ausgehen. Denk an das elfte Gebot: Du sollst nicht am Zügel ziehen!“
Und da habe ich ausnahmsweise nichts hinzuzufügen 😉
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Eine Antwort auf „Das elfte Gebot: Du sollst nicht am Zügel ziehen“
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