Große Aufregung. In der Reithalle ist Kirmes, weil Frau Reichundschön ihren Walter durchbewegt. Und das wollen alle sehen, weil Walter von Haus aus Dressurkracher ist und im Mitteltrab die Lampen in der Halle austreten kann. Hinten kommt er nicht so mit, aber vorne strampelt er wie ein Weltmeister. Bequem ist das nicht, deshalb sitzt Frau Reichundschön in aerodynamischer Schräglage und hält sich an den Zügeln fest. So kommt sie gut über die Diagonale und die Reitprofis hinter der Bande – meine sogenannte Besitzerin vorneweg – beneiden sie glühend. Wie der die Haxen schmeißt! Dieses Vorderbein! Und was für eine Ausstrahlung! Eine gestresste nämlich, aber ich bin ja hier nur das Pferd und man sagt mir nach, ich würde lästern. Da rollt das Auge und die Nüstern blähen sich, weil Frau Reichundschön den Nasenriemen so zugeknallt hat, dass Walter nicht mehr gescheit schnaufen kann. Mit der Begründung: „Im Sport muss das so!“ Zugleich riegelt sie ihm die Rübe runter, weil sie es reell nicht geritten bekommt. Hach, seufzen die Reitprofis.
Zeitgleich ist Frau Reitlehrerin mit ihrem Dieter da. Deshalb drückt sich die sogenannte Besitzerin ja auch in der Halle herum. Sie will doch mal sehen, wie es richtig geht, hat sie dem Mann vorher anvertraut. Dieter ist fein geritten, bewegt sich taktmäßig und losgelassen und sieht langweilig aus. Da ist ja keine Action, stellen die Zuschauer, allen voran die sogenannte Besitzerin, fest. Anders als bei Walter, der gerade schwitzend um sein Leben steppt. Frau Reichundschön nennt es Versammlung und halbe Tritte, aber tatsächlich ist es Angst auf der Stelle.
Währenddessen zeigt Dieter langweilig harmonische Übergänge. Auch die Seitengänge werden abgefragt und sehen halt nicht besonders aufregend aus, weil Dieter auf feinste Hilfen reagiert und die Lektionen korrekt ausführt.
Boah langweilig, stellt die Frau, meine sogenannte Besitzerin, enttäuscht fest. Sie hatte sich da mehr erhofft… mehr Action, mehr Ausstrahlung, mehr Adrenalin, mehr ALLES.
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„Gutes Reiten ist eben unspektakulär“, erklärt Frau Reitlehrerin, nachdem sie Dieter abgesattelt und aufs Paddock gestellt hat. „Das ist ja kein Kampfsport, wo ständig was passieren muss. Beziehungsweise es passiert ständig was, aber es sind ganz kleine Bewegungen.“
„Die berühmte unsichtbare Hilfengebung“, seufzt die Frau, die mangels Körperbeherrschung noch nicht so weit vorgedrungen ist und der einfach auch der Blick für die Feinheiten fehlt.
„Ganz genau. Manchmal muss man auch nur etwas denken und die ganz kleinen, unbewussten Bewegungen, die man dabei macht, reichen aus, um sich mit dem Dieter zu verständigen. Das ist wie flüstern und schreien. Beim Flüstern bekommen es auch nur wenige mit. Schreien ist viel auffälliger, das bleibt kaum einem verborgen.“
„Der Dieter macht auch einen viel zufriedeneren Eindruck als Walter“, findet der Mann, der ebenfalls in der Halle zugeguckt hat. „Walter hat Stress pur, das kann ja nicht richtig sein.“
„Du hast ja keine Ahnung. Wenn sich ein Pferd anstrengt, guckt es eben so“, weist ihn die Frau zurecht.
„Wenn ein Pferd sich anstrengt, guckt es anders, als wenn es an der Heuraufe steht, aber es gibt einen Unterschied zwischen Anspannung und Verspannung“, findet Frau Reitlehrerin. „Und wenn ein Pferd kein Anzeichen von Losgelassenheit zeigt, dann ist es definitiv nicht richtig.“ Und weil die sogenannte Besitzerin komisch guckt, zählt sie sicherheitshalber auf: „Losgelassenheit erkennt man daran, dass das Pferd einen zufriedenen Gesichtsausdruck hat und der Schweif taktmäßig pendelt. Das Pferd kaut mit geschlossenem Maul, es schnaubt ab, der Rücken schwingt gleichmäßig, das Pferd zeigt Dehnungsbereitschaft und tritt ans Gebiss heran.“
„Ja genau“, sagt die Frau und tut so, als hätte sie das vorher schon gewusst.
„Beim Reiten ist es wie in einer Beziehung: wenn man sich gut versteht, ist es am schönsten. Und das sieht für Außenstehende möglicherweise langweilig aus, das ist aber dann deren Problem“, fasst der Mann gutgelaunt zusammen und da muss ihm auch die sogenannte Besitzerin recht geben.
Also: langweilig und harmonisch rockt! Spektakulär und unphysiologisch eher nicht.
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