Besser gut gelaufen als schlecht geritten

„Hihi, du gehst genauso, wie du reitest“, sagt das Nachbarskind, das die Frau nach einer verlorenen Wette mit in den Stall nehmen musste.

„Anmutig und elegant, gell?“, erkundigt sich die Frau wie eine gütige Hexe.

„Nein, krumm und buckelig! Und voll hektisch“, teilt das Kind mit, bevor es wegläuft. Die Frau grimassiert wild und will das garstige Balg ob seiner Wortwahl belehren, aber zu spät. Dafür trifft es jetzt den Mann.

„Findest du, dass ich … ahem… ungewöhnlich gehe?“, fragt sie.

Der ist unsicher, ob das eine Fangfrage ist und heuchelt sicherheitshalber Unverständnis.

„Das liebe Nachbarskind hat mir erzählt, ich würde buckelig gehen. Und hektisch.“ Mit vorgerecktem Kopf und krummem Rücken stapft sie auf und ab, während sie den Mann mit ihren Blicken fixiert.

Der hat schließlich keine andere Wahl, als ihr eine gewisse schlechte Haltung, verbunden mit schnellen Schritten, zu bescheinigen. Worauf die Frau hektische Flecken kriegt und dem Mann Vorwürfe macht, dass er ihr das jetzt erst erzählt, wo sie ihn praktisch dazu nötigen muss. So ein bisschen Feedback, noch dazu zeitnah, das ist doch wohl nicht zu viel verlangt! Dem Mann ist es neu, dass er jetzt auch noch Personal Trainer und Bewegungscoach ist. Aber egal. Unaufgefordert liefert er der Frau eine weitere Ganganalyse. Nennen wir sie Variante Zwei. Da bewegt sie sich ähnlich komatös wie der Lutschi, unser spanisches Mähnenwunder, und kommt die Stallgasse heruntergeflossen wie Hefeteig.

Zwischen komatös und hektisch gibt es nix. Wie beim Reiten. „Das ist ja lustig“, findet der Mann. Die Frau kann darüber gar nicht lachen und funkelt ihn böse an.

*

Aber Frau Reitlehrerin, die hastig konsultiert wird, bestätigt das. „Beim Reiten hast du erstmal die Körperhaltung, die du dir angewöhnt hast und die du auch beim Gehen zeigst“, teilt sie mit. „Und du wendest deine bekannten Bewegungsmuster an. Und natürlich richten sich die Strukturen des Körpers darauf ein und verkürzen sich hier und blockieren da. Nimm nur mal hochgezogene Schultern! Wenn du die Schultern permanent hochziehst, gewöhnst du dich daran und findest das Gefühl der hochgezogenen Schultern ganz normal.“

Die Frau lässt ihre Schultern schnell fallen und erkundigt sich verzagt: „Und was hilft da?“

„Mehr Körperbewusstsein!“, verkündet Frau Reitlehrerin mit einem so strahlenden Lächeln, dass ihr die Frau am liebsten eine reinhauen würde.

„Dann ist es ja ganz einfach“, stichelt die Frau, der zwar bewusst ist, dass sie einen Körper hat, die aber nie so genau weiß, was ihre Körperteile gerade treiben. „Geht das auch konkreter?“

„Aber ja. Lass dich vom Mann filmen.“

„Und dann?“

„Siehst du deine Fehlhaltungen und kannst sie ändern. Über gezielte Gymnastik und Feldenkrais-Übungen.“

„Feldenkrais, das ist nochmal was?“

„Das sind Übungen, mit denen du dein Bewegungsgefühl verbesserst. Die Beckenuhr zum Beispiel.“

„Da mache ich eine Bewegung ganz übertrieben, damit ich daraus ein Gefühl für die normale, richtige Bewegung bekomme“, erinnert sich die Frau dunkel.

„Ganz genau. Und damit kannst du dich selbst korrigieren und dein Gefühl schulen.“

„Das ist ja einfach“, jauchzt die Frau. „Wer braucht schon Reitunterricht!“

Frau Reitlehrerin guckt den Mann an. Der guckt die Frau an. Und dann gucken mit einem Mal alle mich an und geben mir Leckerli.

„Also wegen Corona, meinte ich“, druckst die Frau herum. „Weiß ja kein Mensch, wann es wieder richtigen Reitunterricht gibt.“

„Was deinem Sitz auch guttun würde…“ Frau Reitlehrerin macht eine Kunstpause. Halbe Parade heißt das beim Reiten und erhöht die Aufmerksamkeit.

*

„Jaaa?“, giert die Frau.

„Yoga.“

„Yoga?!“ Geh du mir weg mit deinem esoterischen Gedöns, denkt die Frau, traut sich aber nicht, das laut zu sagen.

„Yoga“, bekräftigt Frau Reitlehrerin. „Das machen jetzt ALLE. Vor allem die Dressur-Profis.“

„Ach? Ja dann… Wenn die Dressur-Profis das machen. Das sind ja quasi Kollegen“, denkt die Frau laut. Frau Reitlehrerin hat ihr Gesicht auf bewunderungswürdige Weise unter Kontrolle und bleibt ernst. Auch das wiederaufgetauchte Nachbarskind lacht nicht, weil es die Frau noch nicht so lange kennt wie wir anderen. Und der Mann traut sich nicht.

Mir solls recht sein. Wenn sie dadurch lockerer wird und ihr Sitz eventuell sogar geschmeidiger, hab ich nix dagegen. Und wenn nicht, ist sie wenigstens durch die Turnerei so ausgelastet, dass sie vielleicht nicht mehr reiten will.

„Und du musst uns filmen!“, beauftragt sie den Mann. „Damit ich sehe, wie es von Tag zu Tag besser wird.“

Glaub mir, das willst du nicht, denke ich. Wir erinnern uns an das letzte Mal, wo der Mann Kameramann spielen musste.

Aber so ist sie, die sogenannte Besitzerin. Begeisterungsfähig und putzig. Und ihr Gedächtnis ist noch kürzer als ihre Beine. Vielleicht denkt sie sogar daran, das Nachbarskind wieder mit nach Hause zu nehmen. 😛

Bild: Rumstehen ist auch cool. Nicht so anstrengend wie Laufen.
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Zum Weiterlesen: Bei Pferdekult gibts mehr Infos über die Feldenkrais-Methode.

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