„Weißt du schon? Melli kommt zu uns!“ Die sogenannte Besitzerin ist ganz aufgeregt.
„Wer?“, fragt Frau Reitlehrerin.
„Melli. Von Insta. Musst du doch kennen“, insistiert die sogenannte Besitzerin (alias „die Frau“ – für wenn’s mal schnell gehen muss).
„Melli von Insta, eine Adelige also. Sagt mir jetzt nichts.“
„Die heißt eigentlich Melanie Felicity und ist wunder-wunderschön“, schwärmt die Frau. „Und sie kann toll reiten und postet pferdegerechte Sachen. Und Bücher schreibt sie auch. Und! die legt sich auch mit der Sportreiterei und mit der FN an.“
Das ist ja schon mal ganz in Frau Reitlehrerins Sinn. Also das wunder-wunderschöne nicht, das ist ihr relativ egal, aber dass die sogenannte Besitzerin sich für pferdefreundliche Inhalte begeistert und dem ehrgeizigen Sportreiten kritisch gegenübersteht, das gefällt ihr. Aber die Frau ist noch nicht fertig. „Und die kommt zu uns in den Stall und macht hier ein Seminar und es kostet nur drölfzigtausend Euro und es wird bestimmt ganz toll. Kommst du auch?“ Sie hält Frau Reitlehrerin das Smartphone unter die Nase, worauf das Event beworben wird. Unter einem hübschen Foto steht „Equine Essentials – reite dein Pferd gesund!“
Das liest sich ja erstmal gut und deckt sich auch vollkommen mit Frau Reitlehrerins Vorstellung, dass man Pferde problemlos krank reiten, sie aber auch gesunderhaltend gymnastizieren kann und sollte. Und natürlich ist es hilfreich, wenn man dafür verschiedene Zusammenhänge im Pferdekörper durchschaut. Frau Reitlehrerin ist also dabei, denn wie sie sagt, muss man sich auch als Reitausbilder weiterbilden und wird durch so eine Veranstaltung zumindest nicht dümmer.
Wie aufregend. Also für den Lutschi und für mich nicht, wir haben am großen Tag reitfrei. Ein Glück, ich hatte schon Sorge, wir müssten als Anschauungsobjekt herhalten. Aber für diesen Zweck hat die Melli von Insta drei Reiterinnen und ihre Pferde da, die den praktischen Teil bestreiten sollen. Aber zuerst die Theorie!
Und zuallererst Fotos und Videos, worauf Stall, Menschen und Pferde sehr schön in Szene gesetzt werden. Die ersten Teilnehmer schreiben schon auf Insta über die Mega-Fortbildung, noch ehe sie begonnen hat. Jetzt aber – Melli von Insta kontrolliert noch schnell ihren Look und begrüßt die Fans. Danach kommt der Theorie-Teil, der fachlich sehr allgemein gehalten ist und wo man aber viel Persönliches und Emotionales über Melli erfährt. Was ja auch schön ist, denn sie hat tatsächlich sehr viele sehr pferdefreundliche Gedanken und da ist es gut, wenn möglichst viele Menschen genau so denken und Pferde als Partner ansehen und nicht als Befehlsempfänger und Sportgerät. Fachlich und fortbildungstechnisch kommt dabei allerdings nicht so viel rum, aber das kommt bestimmt im praktischen Teil, versichert die sogenannte Besitzerin Frau Reitlehrerin, deren pädagogisches Lächeln allmählich etwas angestrengt wirkt.
Nach der Pause geht es also weiter mit der Praxis. Als erstes erscheint Frau Wackeldackel mit dem unruhigen Bein. Ihr Pferd läuft stoisch und gelassen durch die Reithalle, allein Frau Wackeldackel zappelt sich obendrauf einen zurecht. Mal wackeln die Arme, mal ist es der Kopf, aber am meisten schlackern die Unterschenkel. Melli hat schnell diagnostiziert, dass das Problem aus dem Sitz kommt. Der Sattel, eine Sitzprothese mit extra viel Pausche und extra-extratiefem Sitz, hat nichts damit zu tun, denn er passt dem Pferd. Der Reiterin zwar nicht, aber ich bin ja hier nur das Pferd und man sagt mir nach, ich würde lästern. Melli hat auch gleich eine Idee, wie man den unruhigen Sitz heilen kann: Einfach die Knie kräftig ans Pferd, der Rest kommt von ganz allein. Die sogenannte Besitzerin guckt Frau Reitlehrerin tief in die Augen. So einfach kann es sein und du machst es mir immer so schwer, sagt dieser Blick. Aber jetzt kommt noch der diagnostische Teil. Frau Wackeldackels Pferd wird abgesattelt und untersucht. Also der Sattel passt prima, beschließt die Melli. Jetzt piekst sie das Wackeldackelpferd in verschiedene Reflexpunkte. „Oh, oh“, macht sie.
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„Untersucht wird doch eigentlich vor dem Reiten?“, murmelt Frau Reitlehrerin, ein Fragezeichen auf der Stirn. „Weil man je nach Befund das Reiten besser bleiben lässt? Jedenfalls kenne ich das so.“
„Das hat man vielleicht früher so gemacht. Siehste, so kannst auch du was lernen“, triumphiert die Frau.
Die Melli macht wieder „Oh, oh“ und stellt fest: „Blockaden im Hals, und die Knie würde ich mal schallen lassen.“
„Warum?“, fragt Frau Reitlehrerin.
„Weil er das der Melli so angezeigt hat“, flüstert die Frau. „Ist sie nicht wunderschön?“
Aber jetzt geht es Schlag auf Schlag und Reiterin Nummer Zwei erscheint. Reiterin Nummer Zwei ist sehr versiert und reitet tiefenentspannt und mit einem schönen langen Bein, während ihr sichtlich unerfahrenes Pferd hier mal guckt und dort mal einen Hüpfer macht. Das gefällt der Melli aber gar nicht. Hier kann sie leider keinen Unterricht machen, da das Pferd nicht ihren Anforderungen entspricht. Mindestens A-fertig sollte es schon sein. Den Einwand, die Reiterin wäre selbst Trainerin und das Pferd zugegebenermaßen noch unerfahren, würde aber sicherlich von ihrem geschulten Auge profitieren, lässt sie nicht gelten. Schnell noch ein paar schöne Fotos für Insta gemacht und jetzt bitte Abgang, aber zügig. Pro forma wird noch ein bisschen untersucht und empfohlen, die Knie schallen zu lassen.
Denn es naht Reiterin Nummer Drei, an der die Melli ausnahmsweise nichts auszusetzen hat. Nur eine Kleinigkeit wäre da, Moment. Sie zieht ihre Daunenweste aus und stopft sie bei Reiterin Nummer Drei unter den Sattel. So würde sie besser im Schwerpunkt sitzen. Reiterin Nummer Drei staunt, Frau Reitlehrerin staunt und sogar die sogenannte Besitzerin staunt. „Auf so coole Ideen kommst du nicht“, zischelt sie zu Frau Reitlehrerin. „Ist sie nicht wunderschön?“
Reiterin Nummer Drei reitet unter Mellis sachkundiger Anleitung verschiedene Dinge und Pferd Nummer Drei macht gut mit – trotz oder wegen der untergeschobenen Weste, das ist nicht so klar. Die abschließende Untersuchung ergibt einen Befund am Knie, das unbedingt geschallt werden muss. Eine Zumutung, dass nur kranke Pferde hierhin kommen, findet die Melli. Sie hat jetzt auch sichtlich keine Lust mehr und erzählt lieber wieder aus ihrem Leben. Dann hat sie auch darauf keine Lust mehr und die wunderbare Veranstaltung ist vorbei. Am Ausgang können noch Fotos mit Melli gemacht werden und alle sind begeistert. Also, fast alle. Frau Reitlehrerin zum Beispiel lächelt kritisch und die sogenannte Besitzerin ist verunsichert, weil Frau Reitlehrerin eine Zeitlang gar nicht gelächelt hat. Und Reiterinnen Eins bis Drei machen auch einen eher unfrohen Eindruck.
„Nicht jeder, der schön reitet und für seine pferdefreundliche Einstellung bekannt ist, gibt auch guten Reitunterricht oder ist ein begnadeter Diagnostiker“, fasst es Frau Reitlehrerin zusammen. „Es muss auch nicht jeder alles gleich gut können, dafür gibt es schließlich Experten.“
Meine Zusammenfassung: Wenn du jemand hast, der dir für dich passenden Unterricht anbietet und noch dazu pferdefreundlich ist, dann überschütte ihn mit Geld und guten Worten und lass ihn nicht mehr gehen.
„Aber sie ist so wunder-wunderschön“, meint die sogenannte Besitzerin. Und da fällt mir jetzt auch nix mehr ein.
Bild: Reitfrei und wunderschön
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