„Die haben doch alle keine Ahnung!“, verkündet die sogenannte Besitzerin im Brustton der Überzeugung. Und du hast die?, würde ich gern fragen, aber ich bin ja hier nur das Pferd und man sagt mir nach, ich würde lästern.
Worum geht‘s? Die sogenannte Besitzerin war mal wieder im Internet und hat da anderen Leuten die Meinung gesagt. Das ist ja ihr Liebstes. Herrlich, wenn man klüger ist als der Rest der Welt! Und dieses Klugscheißen tut sie gern a) im wirklichen Leben, zusammen mit den anderen Reitprofis hinter der Bande, oder eben b) online auf Social Media. Jetzt gerade haben wir aber Reitunterricht, weshalb ich neben Frau Reitlehrerin herumstehe, während meine Reiterin aus ihrem Leben erzählt. Sie fummelt ihr Handy aus der Tasche und hält es Frau Reitlehrerin unter die Nase. „Guck mal, das soll ein Bergauf-Galopp sein – hmpf! Denen hab ich aber die Meinung gesagt.“
Frau Reitlehrerin guckt und legt den Kopf schief.
„Ja genau, das ist schon mal so schräg fotografiert, dass es aussieht, als ginge es bei denen in der Reithalle bergauf“, kichert die Frau. „Und dann haben die sich in den Kommentaren gefetzt, ob das jetzt richtig oder falsch geritten ist. Ich bin ja total sensibilisiert und hab sofort gesagt, dass der Rücken durchhängt und ein Pferd so nicht gescheit galoppieren kann. Hui, da hab ich aber Ärger gekriegt. Dabei haben die doch alle keine Ahnung!“ Sie schaudert bei der Erinnerung. Dann fragt sie: „Warum wissen die alle nicht, dass das falsch ist? Warum haben die alle keine Ahnung?“
Frau Reitlehrerin ist eine gute Pädagogin und lobt die Frau erstmal dafür, dass sie tatsächlich richtig erkannt hat, dass beim betreffenden Pferd-Reiter-Paar einiges im Argen liegt und dass der Rücken definitiv badewannenförmig hängt und sich das Pferd so tatsächlich nicht physiologisch fortbewegen kann, sei es noch so teuer und der Reiter noch so berühmt.“ Dann erklärt sie: „Der Reitsport hat sich insofern in eine Sackgasse begeben, als die Reiterei immer spektakulärer werden musste. Der Mensch will Sensationen – höher, schneller, weiter. Also wurden bewegungsstarke, aber instabile Pferde produziert. Das mit dem produziert muss man leider so sagen, denn da geht es rein ums Geld und nicht darum, möglichst gesunde, langlebige Pferde zu züchten. Außerdem muss die Ausbildung dieser Pferde schnell gehen, damit man sie zügig auf Turnieren vorstellen und vermarkten kann.“
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„Aber da sind doch Richter, die dafür zuständig sind, korrektes Reiten zu bewerten. Warum tun die nichts? Von den Abreiteplätzen gibt’s ja oft schlimme Bilder, und die aus den Prüfungen sind auch nicht besser. Ich glaube, die haben auch alle keine Ahnung.“ Die Frau schnauft empört.
„So ganz ahnungslos sind die nicht“, lächelt Frau Reitlehrerin. „Aber wie so oft im Leben geht es auch hier um’s Geld. Wenn die Richter also korrekt gerichtet haben und auch die ganz großen Profis herunterbewertet haben, sind die nicht mehr zu den Turnieren gekommen. Da waren die Veranstalter not amused und haben diese Richter einfach nicht mehr eingeladen. Später ging die Entwicklung dann dahin, dass die Richter anscheinend selbst nicht mehr wussten, wie korrektes Reiten eigentlich aussieht. Und das ist das eigentliche Trauerspiel. Mittlerweile haben sich alle so dermaßen an die Bilder von gestressten, strampelnden Pferden und inkorrekten Bewegungsabläufen gewöhnt, dass die Mehrheit wirklich nicht mehr weiß, wie vergleichsweise langweilig harmonisches, korrektes Reiten aussieht.“
„Und wie kann man das wieder lernen?“, erkundigt sich die Frau ehrlich besorgt.
„Man kann sich zum Beispiel an alten Schriften und auch Reitvorschriften orientieren.“
„Alte Schriften, also Reitkunst!“, jauchzt die Frau, die sich ja zu Höherem berufen fühlt und sich so um die Basics herumdrücken will. Und nach einer kurzen Pause: „Wie jetzt – Vorschrift?“
„Aus der Kavallerie“, erklärt Frau Reitlehrerin hilfsbereit.
„Aber da geht es doch um Soldaten und um Krieg!“ Die Frau ist entsetzt.
„Pferde waren damals unglaublich wichtig, deshalb wurde auch alles dafür getan, dass sie möglichst lange fit und einsatzfähig waren.“
„Ach“, staunt die sogenannte Besitzerin. „Man müsste also diese alten Schinken lesen. Das ist ja sehr mühsam.“
„Aber vielleicht eine gute Tat für die Pferde, ihre Ausbildung und für die Beurteilung ihrer Bewegungsabläufe“, findet Frau Reitlehrerin.
„Oder man ist einfach so ein Naturtalent wie ich und weiß das alles schon“, verkündet die sogenannte Besitzerin, die anscheinend komplett verdrängt hat, wie mühselig ihr Frau Reitlehrerin das ein oder andere eingetrichtert hat, wir erinnern uns. Frau Reitlehrerins Lächeln wirkt an dieser Stelle auch etwas gezwungen 😀
Bild: Das spanische Mähnenwunder hat auch keine Ahnung, aber dafür gute Laune
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