Winterzeit ist Hallenzeit. Entweder es regnet, schneit, der Boden ist gefroren oder alles zusammen. Wer kennt es nicht: Lilly will freispringen, Anna longieren und Chrissie Bodenarbeit machen, und zwar gleichzeitig. Mirja möchte Reitkunst treiben. Fehlt nur noch die sogenannte Besitzerin, die mit Halsring reiten will, also in unserem Fall ohne Lenkung.
Als wir in die Halle kommen, ist schon ordentlich Stimmung. Lilly hat für ihre Coco an den langen Seiten zwei Sprünge aufgebaut, die sie vehement gegen Abbauversuche verteidigt. Anna will auf dem Mittelzirkel longieren, „weil da der Boden am besten ist“. Und weil Anna und ihr Paulchen grundsätzlich keine Linie halten können, ist das möglicherweise nicht die schlechteste Idee. Hinzu kommt, dass Paulchen nicht nur beißt, sondern auch schon mal gern nach anderen Pferden tritt, weshalb momentan keiner der Anwesenden (und auch sonst niemand) Interesse an einer eventuellen Begegnung hat. Außer dem Lutschi vielleicht, was unser spanisches Mähnenwunder ist. Der ist erstens nicht ganz gescheit und liebt zweitens alle anderen Pferde, wobei die Liebe in den seltensten Fällen erwidert wird. Aber der Lutschi hat heute reitfrei und belegt mit dem Mann den Longierzirkel. Beide sind regendicht verpackt, haben schön ihre Ruhe und verpassen somit die Endausscheidung im Kampf um die Reithalle. Wobei Chrissie und ihre Mitsou dabei eigentlich nur Statisten sind, denn beide können miteinander kommunizieren und wollten nur „ein bisschen was Schönes“ miteinander machen. Buh, langweilig. Außerdem können sie ihre Bodenarbeitsübungen praktisch an jedem Fleck der Erde machen, sogar in einer Ecke der vollen Reithalle. Wenn da nur nicht Coco wäre, die jetzt aber endlich freispringen soll, „da könnt ihr anderen doch gefälligst mal Rücksicht nehmen!“
Bevor es komplett eskaliert, erscheint Frau Reitlehrerin, deren geheime Superkraft es bekanntlich ist, überall dort aufzutauchen, wo es gerade spannend wird. Sie hört sich die hitzig vorgetragenen Argumente an, lächelt beruhigend und weist darauf hin, dass es für genau solche Fälle eine Lösung gibt. Und die heißt nicht etwa Axtmord, sondern „Bahnregeln“.
Wie jetzt – Bahnregeln?
„Ah, linke Hand hat Vorfahrt und so“, erinnert sich die sogenannte Besitzerin dunkel.
„Auch das“, lächelt Frau Reitlehrerin. „Es sind aber auch viele andere Dinge darin geregelt.“
„Wo stehen die denn, diese ominösen Bahnregeln?“, begehrt Lilly auf, die nichts glaubt, was sie nicht schwarz auf weiß gelesen hat. „Und außerdem will ich jetzt freispringen lassen, ist das denn so schwer zu verstehen?“
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Frau Reitlehrerin lächelt Lilly einfach nieder und erklärt: „Die Bahnregeln sind die Verkehrsregeln der Reiter. Genauso wie es im Straßenverkehr bestimmte Regeln gibt, die man einhalten muss, ist es auch beim Reiten. Das betrifft Dinge wie zum Beispiel, dass die Reiter, die auf der linken Hand reiten, den Hufschlag haben und dass Ganze Bahn Vorrang vor anderen Bahnfiguren hat. Außerdem stellt jeder Stallbetreiber eigene Regeln auf, an die man sich halten muss. Und die stehen meist auf einem Zettel im Eingangsbereich oder gut sichtbar an der Bande. Hier zum Beispiel.“ Sie deutet auf einen Aushang, an dem die sogenannte Besitzerin und ich mindestens schon tausendmal vorbeigekommen sind und den wir deshalb geflissentlich ignorieren, weil oll und langweilig.
„Ach hiiiiier, auf dem ollen Zettel stehen die“, erkennt nun auch die sogenannte Besitzerin, deren Gehirn sich zwischenzeitlich abgeschaltet hatte. „Da steht ganz viel von gegenseitiger Rücksichtnahme…“ sie wirft einen argwöhnischen Blick in die Runde „…. und von Absprachen. Und …ah, hier: Das Longieren von Pferden in der Bahn ist nur mit Einverständnis aller anwesenden Reiter erlaubt. Bei mehr als drei Pferden und während Reitunterricht stattfindet, sollte nicht longiert werden.“
Lange Gesichter ringsum. Bis auf Frau Reitlehrerin, aber die ist ja immer gut gelaunt.
Es wird kurz durchgezählt und festgestellt: Wir sind fünf. Longieren fällt also schon mal flach. Freispringen dann ja wohl erst recht. Lilly und Coco verlassen mürrisch die Halle. „Freispringen ist soooo wichtig für die Coco“, muffelt Lilly.
„Du kannst doch auf dem Reitplatz freispringen lassen, der Boden ist griffig und nicht gefroren“, schlägt Frau Reitlehrerin vor.
„Dann werd ich doch nass“, erwidert eine massiv schlechtgelaunte Lilly.
Frau Reitlehrerin lächelt herzlos und empfiehlt: „Zieh dir eine Regenjacke an und der Coco eine ungefütterte Regendecke, dann sollte das gehen.“
Cavalettihöhe ist damit durchaus machbar, und höher baut sie eh nicht auf, weil es Lilly glücklicherweise nur um Ausgleichsgymnastik für Coco geht und nicht darum, irgendwelche Rekorde aufzustellen. Lilly murmelt irgendwas von „Regenmantel suchen“ und „alle doof“, macht aber insgesamt einen entspannteren Eindruck als noch vor fünf Sekunden, als sie allen gleichzeitig an die Gurgel gehen wollten. Läuft bei Frau Reitlehrerin, würde ich sagen.
Die Verbleibenden gucken sich an: Jetzt sind wir nur noch vier. Immer noch einer zu viel. Anna ist zum Glück flexibel und switcht mit Paulchen ebenfalls um auf Bodenarbeit statt Longe. Mit sicherem Abstand zu den anderen, worüber die sich sehr freuen.
„Und vielleicht macht das dem Paulchen mehr Spaß als longiert zu werden“, sinniert Frau Reitlehrerin. „Für eure Beziehung ist es ein tolles Projekt, herauszufinden, was dem Paul gefällt und was nicht. Natürlich muss abgeklärt werden, ob hinter seiner dauerhaft schlechten Laune ein gesundheitliches Problem steckt. Wenn es aber einfach nur ein Motivationstief ist, was wir alle hoffen, kannst du jetzt im Winter herausfinden, wie man ihm wieder Spaß an der gemeinsamen Aktivität vermitteln kann.“ Und außerdem hat sie natürlich noch Ideen, wie man den beiden helfen kann. Anna nickt und startet in die Beziehungsarbeit.
Es bleiben übrig: Mirja, die Reitkünstlerin, die sich mit rechts und links auskennt und lenken kann und die sogenannte Besitzerin mit weder noch. Ich hätte auch gern frei oder lustige Beziehungsarbeit. Oder zumindest Autopilot, wo die sogenannte Besitzerin Beifahrerin ist, aber Pech gehabt: Frau Reitlehrerin empfiehlt, mir die Trense für das Halsring-Experiment nicht auszuziehen, so dass meine tollkühne Reiterin im Notfall mittels Trense durchparieren oder lenken kann. „Aber nur im Notfall! Wir wollen ja weg vom Zügel und hin zum handunabhängigen Reiten!“, schärft ihr Frau Reitlehrerin ein und lässt sich nochmal die Sitzhilfen aufzählen, mit denen die sogenannte Besitzerin mich durch die Halle manövrieren soll. Als das zu ihrer und meiner Überraschung fehlerfrei klappt, lobt sie meine Reiterin und entlässt uns ins Abenteuer Halsringreiten.
Und siehe da, bisher ist keiner gestorben, keiner hat den anderen verletzt, alle leben noch und mehrere haben sogar gute Laune. Vielleicht ist das der Geist der Vorweihnacht, wer weiß.
In diesem Sinne: machts fein, habt eine schöne Zeit, denkt an „die linke Hand hat den Hufschlag“ und andere Bahnregeln und seid nett zueinander. Und denkt daran: ich beobachte euch heimlich 😉
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Bild: lilli6, Pixabay