„Hach, Reitkunst! Soooo schön“, murmelt die Frau, meine sogenannte Besitzerin, hingerissen, als sie das Buchcover zu Gesicht bekommt. „Levade! Hach!“ Und in ihren Augen blitzt es begehrlich, denn zum einen will sie das auch können, zum anderen zumindest ein Buch besitzen, in dem Levaden beschrieben werden. Und andere Lektionen der Hohen Schule auch. Denn, so ihr Gedanke: Von der Theorie zur Praxis ist es ja hoffentlich nicht weit, und so kann sie zumindest unsere Frau Reitlehrerin mit ihrem neuen Wissen beeindrucken. Und viele Fotos sind auch drin. Zack, gekauft.
Hier aber erstmal die Eckdaten:
Alte Meister im Licht der Moderne
Julika Tabertshofer
Cadmos-Verlag
224 Seiten mit vielen Fotos
29,99 EUR
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Als die Frau dann in dem Buch herumblättert, fallen ihr zwei Dinge auf. Erstens: Es ist kein How to Reitkunst, was zwar irgendwie schade ist, wenn auch wenig überraschend. Und zweitens: Viele der Dinge, die die gelehrten Reitmeister der Vergangenheit von sich gegeben haben, hat sie in ähnlicher Form auch schon von Frau Reitlehrerin gehört, die bekanntlich sehr guten Reitunterricht gibt, auch wenn darin – nach Ansicht der Frau – zu viel auf die Basics geachtet wird und zu wenig Piaffe vorkommt. Aber der Reihe nach.
Im ersten Kapitel werden die Reitmeister vorgestellt, mit denen wir in der Folge das Vergnügen haben werden. Es sind Xenophon, Antoine de la Baume Pluvinel, William Cavendish – der Herzog von Newcastle -, François Robichon de la Guérinière und Manoel Carlos de Andrade. Wir lernen die Epochen kennen, in denen sie tätig waren und können uns in den Zeitgeist einfühlen. Spannend, ja, aber nicht das, wonach die Frau lechzt. Das kommt in Kapitel 2, das den Namen Die Praxis trägt.
Endlich. Das wurde aber auch Zeit, denkt die sogenannte Besitzerin. Doch dann kommts – die nächste Überschrift lautet Der Reiter: Körperliche Fähigkeiten und Charakter. Denn nicht nur das Pferd muss Dinge mitbringen, auch beim Reiter müssen bestimmte charakterliche Voraussetzungen erfüllt sein. Und die sind womöglich noch wichtiger als die körperlichen Fähigkeiten, die sich die Reitmeister wünschen.
Großzügig verzichtet die Frau auf die Lektüre dieses Abschnitts, der ihr zu sehr nach Frau Reitlehrerin klingt. Sie überblättert auch den nächsten Abschnitt (Der Sitz und was die einzelnen Reitmeister dazu zu sagen haben. Teilweise sehr aktuell und eigens für die Frau geschrieben 😛 ) Womöglich denkt sich Frau Reitlehrerin ihre Korrekturen ja gar nicht aus, sondern es ist bewährtes Pferdewissen, das seit Jahrhunderten weitergegeben wird?
Aber egal, jetzt ist nicht die Zeit für kleinliche Selbstzweifel, jetzt ist die Zeit für Reitkunst. Nach der Campagneschule, den historischen Hufschlagfiguren, den Seitengängen und der jeweiligen Umsetzung durch die Reitmeister kommen wir zur Hohen Schule und den Schulen über der Erde. Bei jeder Lektion wird erklärt, was die fünf Reitmeister davon hielten, wie sie die Übung schulten und wie sie mit unserem heutigen Wissensstand zu bewerten ist. Das führt oft zu überraschenden Erkenntnissen. Zum Beispiel wurden die Schulsprünge wie eine eigene Gangart geritten, also häufig wiederholt. Mir könnte das nicht passieren. Ich bin Freizeitpferd, mit Betonung auf Freizeit. Ein Bocksprung muss reichen, und den kann man dann meinetwegen auch Kapriole nennen 😛
Was auch interessant ist: Wie sich die Namen der einzelnen Lektionen im Lauf der Zeit geändert haben. Zum Beispiel bezeichnete Courbette im Barock etwas völlig anderes als das, was die sogenannte Besitzerin aus der Wiener Hofreitschule kennt. Auch auf die Pilaren und die Ausbildung am Einzelpilar wird eingegangen und darauf, ob das heutzutage noch eine geeignete Ausbildungsmethode ist. Ganz spannend ist das Kapitel über Hilfengebung, wo die staunende Leserin erfährt, dass der Schenkeldruck eine neumodische Erfindung ist. Früher hat man erst mit dem Oberschenkel, dann dem Knie und ganz zuletzt mit Unterschenkel und Sporn eingewirkt. Verrückt, denkt die Frau. Und eigentlich auch unmöglich. Aber da sie ja Reitkunst treiben will, nicht uninteressant. Das Buch hat sie auf jeden Fall sehr nachdenklich gemacht.
Ach ja: Schöne Fotos sind auch darin, und zwar sehr viele. Und zum Abschluss noch Interviews mit heutigen Ausbildern, die sich zu den fünf Reitmeistern und der Anwendbarkeit und Sinnhaftigkeit ihrer Ausbildungsmethoden äußern.
Pro: Das Für und Wider der unterschiedlichen Vorgehensweisen wird im historischen Kontext dargestellt und hinsichtlich der Pferdefreundlichkeit bewertet.
Contra: Das Buch ist keine Reitlehre im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr ein Einblick in längst vergangene Epochen, der lebendig und spannend geschrieben ist.
Fazit: Ein wunderschönes Buch. Sehr informativ, sehr gut lesbar und überraschend aktuell!
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