„Der tut nix, der will nur spielen!“, sagt die fremde Frau und guckt entspannt zu, wie sich ihr Hund samt Flexileine um meine Beine wickelt.
Wir machen immer noch dieses Horse Walking, aber heute zu einer so unchristlichen Uhrzeit, dass außer uns nur die Hundebesitzer unterwegs sind. Das ist schon mal eine Verbesserung gegenüber dem letzten Mal, wo uns am laufenden Band Spaziergänger verhört haben, warum denn nicht geritten wird. Die Frau, meine sogenannte Besitzerin, hat da immer aggressiv behauptet, Horse Walking wäre eine anerkannte Sportart, aber ich fürchte, das hat sie sich nur ausgedacht. Ist aber auch egal, Hauptsache, ich muss sie nicht schleppen. Und mit Sport habe ich es ja sowieso nicht so. Das Projekt Horse Walking ist aber soeben zum Stillstand gekommen, weil sich ein lustiger Wauzi samt Leine um mich drum gewickelt hat. Und wenn mich nicht alles täuscht, will ihn die Frau jetzt fressen. Sie schnauft schon so komisch. „Und da wollen Sie jetzt nix gegen unternehmen?“
„Der Rüdiger ist ja noch jung, der muss das noch lernen“, strahlt uns die Hundebesitzerin an.
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„Kurze Info: wenn mein Pferd jetzt den Huf hebt, geht ihr Rüdiger in die ewigen Jagdgründe ein. Ich weiß aber nicht, ob er dadurch viel lernt.“
Hastig wickelt die unverstandene Hundebesitzerin die Leine auf, was sich aber als schwierig erweist. Zum einen sind meine Beine im Weg und zum anderen kriegt der Hund gerade Atemnot. Rasch bückt sie sich und pflückt Rüdiger unter meinem Bauch weg, während sie böse Blicke auf die Frau wirft, die ihr gerade erklärt, was für eine erstaunliche Reichweite und Durchschlagskraft der durchschnittliche Pferdefuß hat.
Projekt Horse Walking kann weitergehen. Rasch wird noch das spanische Mähnenwunder aus der Botanik gepflückt, wohin es sich zurückgezogen hatte, um unter den toleranten Augen des Mannes ein wenig zu vespern. Und weiter geht’s. Hungrig beäuge ich die nahrhaften Wegränder. Der Lutschi hats gut, der hatte schon einen Snack. Ich bin immer noch ohne Frühstück und wünsche mir eine Flexileine. Mein Magen knurrt. Der vom Mann auch. Schweigend treffen sich unsere Blicke. Ja, wir haben es schwer.
Aber wenigstens sind wir nicht allein auf der Welt. „Der tut nix, der will nur spielen!“, hören wir aus großer Entfernung, als sich ein kalbsgroßes Exemplar von Hund quer durch den nächsten Acker nähert. Die daran befindliche bunte Schleppleine hat sich in diversen Ästen verhakt und bewegt sich auf unheimliche Art und Weise. Der Lutschi und ich können uns nur durch eine überstürzte Flucht in Sicherheit bringen. Jetzt rennen alle: der Lutschi und ich, die Frau und der Mann, hinter uns her, der Hund, ebenfalls hinter uns her, und sein Frauchen, das der Schleppleine hinterherjagt, die sie anscheinend losgelassen hat. Nach langem hin und her, viel Gezeter und noch mehr Leckerli hat mich die Frau aber wieder am Bändel und teilt der Hundebesitzerin wütend mit: „Die Pferde haben Angst vor Hunden!“
„Das ist ja dann Ihr Problem“, antwortet die Hundebesitzerin und krault ihr Kälbchen. „Da müssen Sie wohl noch viel üben, bis sie mit denen spazieren gehen können.“
Die Frau knirscht mit den Zähnen und verliert kurzfristig die Contenance, wird aber so gerade eben noch vom Mann am Schlafittchen zurückgehalten:„Ruhig, ruhig! Nicht die fremde Frau anspringen!“
Die fremde Frau ist sowieso jenseits von Gut und Böse und lässt ihr Kälbchen gerade auf den nächsten Acker laufen. Zum Glück haben der Lutschi und ich die kurze Pause für einen Snack genutzt und können jetzt weitergehen.
Die sogenannte Besitzerin möchte am liebsten ganz allein auf der Welt sein und hat schon keine Lust mehr auf Horse Walking. Was sie endgültig in ihrem Beschluss bestärkt, nie wieder spazieren zu gehen – pardon, Horse Walking zu betreiben – ist Waldi Nummer Drei. Beziehungsweise seine Besitzerin, die völlig paralysiert in ihr Smartphone starrt und keinerlei Außenreize mehr wahrnimmt. Praktischerweise hat sie Waldi an einer Flexileine, so muss sie sich um den schon mal nicht mehr kümmern.
„Hihi. Wie bei uns im Stall beim Schritt reiten“, bemerkt die Frau arglos, die sowas schon oft beobachtet hat.
„Der tut nix, der will nur spielen“, formuliert der Mann optimistisch und beobachtet Waldi scharf. Nach den Ereignissen des Morgens verständlich. Der Lutschi und ich tun es ihm gleich.
Im nächsten Moment passieren verschiedene Dinge zur gleichen Zeit: die Hundebesitzerin stolpert und legt sich lang. Dabei lässt sie die Flexileine los. Die will sich arretieren, sprich: das Kästchen mit dem Aufrollmechanismus bewegt sich zügig auf Waldi zu, der davor weglaufen will, aber das Gehäuse schließlich von hinten an den Kopf kriegt. Auch hier warten der Lutschi und ich nicht auf unseren Untergang, sondern ergreifen aktiv die Flucht, und zwar bis zum übernächsten Grasbüschel, wo uns der Mann stellt. Die Frau schnappt sich in der Zwischenzeit das Hundchen, das dadurch so perplex ist, dass es in Schockstarre fällt. Wenigstens rappelt sich aber jetzt seine Besitzerin auf und klagt: „Was haben sie mit meinem Hund gemacht????“
Und das ist der Punkt, wo das Projekt Horse Walking endgültig und dauerhaft versenkt wird. Mit viel Glück kommt die Frau um eine Anzeige wegen Beleidigung herum und der Lutschi und ich können in Zukunft wieder frühstücken, bevor wir den Stall verlassen. Also gar nicht so schlecht eigentlich, wenn ihr mich fragt 😛
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