„Was machen wir eigentlich heute mit den Pferden?“, erkundigt sich der Mann, während er und die sogenannte Besitzerin an uns herumstriegeln. Das spanische Mähnenwunder und ich stehen dabei auf der Stallgasse herum und verfolgen das Gespräch mehr oder weniger interessiert.
„Spazierengehen“, entscheidet die sogenannte Besitzerin nach einem komplizierten Überlegungsprozess. Und verbessert sich rasch: „Horse Walking, meinte ich natürlich.“
Horse Walking ist cool, Horse Walking ist neu und Horse Walking macht JEDER. Zumindest im geistigen Universum der Frau. Und möglicherweise habe ich mich letztens beim Ausreiten zu gut benommen und die Frau auf mögliche Gefahren aufmerksam gemacht, weshalb sie auch nach unserer Heimkehr längere Zeit beleidigt und schlecht gelaunt war. Wie gesagt, möglicherweise.
Außerdem sind wir ja noch in der Phase „Ich fange ein neues Leben an, mit mehr Bewegung und so“, die hoffentlich bald aufhört. Vielleicht ist sie auch einfach aus ihrer Decke herausgewachsen und muss abnehmen, wie das spanische Mähnenwunder.
Ist aber egal, denn wir gehen RAUS und ich bin quasi nackt. Außer einem Hauch von Knotenhalfter trage ich nichts, also a) keinen Sattel und b) kein kleines dickes Frauchen, was schon mal sehr cool ist.
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Strammen Schrittes marschieren wir in die Botanik, wo der Lutschi und ich direkt mal den Erdanker werfen, weil das Gras zu laut ruft. Der Mann nutzt die Gelegenheit für einige künstlerische Naturfotos und die Frau fletscht die Zähne und tut so, als würde sie lächeln. Und weil man hierzulande nie allein ist, steht auch prompt der erste Spaziergänger auf der Matte und erkundigt sich freundlich: „Warum gehen Sie denn spazieren? Pferde sind doch zum Reiten da!“
Also in erster Linie sind wir dazu da, unser Leben zu leben und uns nicht allzu sehr ärgern zu lassen, aber ich bin ja hier nur das Pferd und werde unterdrückt. Die Frau löst das Ganze überraschend diplomatisch, indem sie antwortet: „Also ich gehe spazieren, weil es mir Spaß macht. Und Sie?“
Während der Angesprochene noch nach einer Antwort sucht, geht es dann doch mit der Frau durch und sie kommt auf Betriebstemperatur. „Und übrigens heißt das nicht Spazierengehen, sondern Horse Walking und ist voll im Trend!“, schimpft sie. „Und es ist eine anerkannte Sportart, jawohl!“ Die sie sich im Zweifel gerade eben ausgedacht hat.
Der Spaziergänger wirft einen vorsichtigen Blick auf die wutschnaubende Frau, einen stirnrunzelnden auf uns – der Lutschi und ich betreiben gerade Landschaftspflege und essen alles, was grün ist – und einen mitleidigen auf den Mann und tritt hastig den Rückzug an.
Weiter geht’s. Die Frau und der Mann zerren an unseren Köpfen herum, bis wir die Nasen vom Gras weg in Richtung Asphalt haben, wo vergleichsweise wenig wächst. „Pferde sind ein Fernwanderwild und bewegen sich in der Natur viele Kilometer am Tag“, doziert die Frau, die sich wieder beruhigt hat, und walkt dynamisch vor uns her. Pferde sind auch Dauerfresser und können mit vollem Mund laufen, wenn man sie nur lässt, denke ich und schiele hungrig auf ein Grasbüschel am Wegesrand.
Da kommt auch schon der nächste Spaziergänger. „Sind die Pferde krank? Wieso gehen Sie denn spazieren und reiten nicht?“, will er wissen.
Und zack, Blutdruck! „Sind sie nicht. Und außerdem heißt das Horse Walking und ich mache das, weil ich es so will“, antwortet die Frau unwirsch.
Im weiteren Verlauf bildet sich über dem Kopf der Frau eine gut sichtbare schwarze Wolke, die zumindest den nächsten Spaziergänger davon abhält, sich nach unserer Spazierengeh-Motivation zu erkundigen.
Meine ist übrigens nicht mehr vorhanden. Kaum hat man mal ein Grasbüschel erbeutet, schon zerrt einen die sogenannte Besitzerin weiter. Auch das spanische Mähnenwunder hat sich den Ausflug nahrhafter vorgestellt.
„Warum gehen Sie denn mit den Pferden spazieren? Die sind schon älter, oder? Und werden nicht mehr geritten.“ Der nächste Spaziergänger. Der Lutschi guckt erbarmungswürdig und bettelt ihn um Kekse an.
„Horse Walking heißt das! Und warum wir das machen, ist ganz allein unsere Sache!“, faucht ihn die Frau an.
„Man wird doch wohl fragen dürfen“, murmelt der ältere Herr und versucht, den Kopf vom Lutschi aus seiner Jackentasche zu entfernen.
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„Nein!!“, blökt die Frau, die gerade in Stimmung kommt und sich fragt, warum ihr denn partout jeder ins Spazierengehen reinquatschen will.
Sonst kann sie ja gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen und führt sich auf wie die Queen höchstpersönlich, aber dieses Spazierengehen – pardon: Horse Walking – macht anscheinend schlechte Laune.
Egal. Sie grummelt vor sich hin und nötigt uns zum Weitergehen. Nein, der Mann darf auch keine Fotos mehr machen, weil die Frau Blutdruck hat und wie von Furien gehetzt durch die Landschaft prescht.
Endlich haben wir den Punkt der größten Entfernung vom Stall erreicht. Gottseidank. Ich bin ja Freizeitpferd, ich DARF gar keinen Sport treiben. Ab hier geht’s nach Hause und wir haben es aufgrund widriger Umstände etwas eiliger als sonst. Zum einen, weil es im Stall ruhiger ist als hier draußen mit der wildgewordenen Frau, zum anderen dämmert es und die wilden Tiere kommen heraus, um uns zu fressen. Der Lutschi weiß das nicht. Überhaupt ist er so unbeholfen in der freien Natur. Ich nutze deshalb die Gelegenheit und bringe ihm bei, dass es in der Dämmerung gefährlich ist, vor allem, wenn man ein zeterndes Frauchen dabeihat. Sowas lockt die Wölfe an.
Währenddessen blökt die Frau abwechselnd „Horse Walking heißt das!!“ und „Nein!!“, wenn sich Spaziergänger nähern und danach erkundigen, warum sie denn nicht reitet, sondern nebenherläuft.
Am Stall angekommen, wird erstmal mit hochrotem Kopf die Fitness-App vom Mann konsultiert und eine Spitzengeschwindigkeit von knapp sechs km/h festgestellt. Das war wahrscheinlich, als der Lutschi und ich unseren synchronen Ausfallschritt aufs Gras geübt haben. Ansonsten haben wir es eher gemütlich angehen lassen, schon wegen der ganzen Gespräche mit den Spaziergängern.
Die App ist kaputt, beschließt die Frau. Gefühlt war sie SEHR sportlich unterwegs. Und wenn es einer weiß, dann ja wohl sie. Die nächste Einheit Horse Walking findet übrigens demnächst in aller Herrgottsfrühe statt, wenn sich alle neugierigen Spaziergänger noch einmal gemütlich im Bett umdrehen. Mit anderen Worten: statt Frühstück! Neues Leben und so, ihr erinnert euch. Ich glaube, ich möchte die alte Frau zurück. Die war zwar auch kratzbürstig und komisch, aber nicht halb so seltsam wie das Energiebündel, das derzeit mit uns unterwegs ist. Mein einziger Trost: Gras to go 😉
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2 Antworten auf „„Horse Walking heißt das!!““
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