Die Frau hat Olympia geguckt und „will das jetzt auch“, wie sie dem Mann erklärt. Praktischerweise ist gleich Reitstunde, so dass auch Frau Reitlehrerin über die neue Zielsetzung informiert wird. Frau Reitlehrerin ist eine große Diplomatin und verzieht keine Miene, als die Frau mit wichtigem Gesichtsausdruck, gestiefelt, gespornt und herausgeputzt an ihr vorbeimarschiert, um sich an der Aufsteighilfe auf meinen Rücken und in den vom Mann liebevoll geputzten Sattel zu hieven. Sogar einen neuen Reithelm mit Glitzer hat sie, „weil sowas im Sport alle tragen“. Oben angekommen, setzt sie sich zurecht, was bedeutet, dass sie sich nicht zwischen Stuhl- und Spaltsitz entscheiden kann und permanent zwischen beiden wechselt. Rumms, werden die Zügel aufgenommen. Ähnlich liebevoll gestaltet sich die Hilfengebung zum Anreiten, was Frau Reitlehrerin dazu veranlasst, noch einmal die Hierarchie der Hilfen anzusprechen.
„Weiß ich doch, die Hilfen werden in einer bestimmten Reihenfolge gegeben“, winkt die Frau ab und rät: „Erst das innere Bild, dann die Atmung, das Becken, dann das Bein und zuletzt die Hand?“
„Ganz genau“, lobt Frau Reitlehrerin.
Worauf sich die Frau reckt und laut nach Luft schnappt. Ich habe genug gehört und setze mich in Bewegung. Die sogenannte Besitzerin sitzt währenddessen stocksteif und hyperventilierend auf mir herum und denkt an Piaffen.
Dann geht es ans Antraben. Verstockt murmelt die Frau irgendwas von „Olympia“ und „Ich will das auch“. Danach kann sie nicht mehr sprechen, weil sie das Atmen vergessen hat.
Zum Glück schreitet Frau Reitlehrerin ein, bevor es noch schlimmer wird. „Heute kümmern wir uns mal um deinen Sitz“, strahlt sie.
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Bloß nicht, denkt die Frau. Das gibt dann immer so esoterische Kommandos und oberpeinliche Übungen. Und alles, was ich will, ist Piaffe reiten. Und Olympia.
Aber Frau Reitlehrerin verströmt positive Vibes für eine ganze Großfamilie, so dass sich die Frau in ihr Schicksal fügt. Vor allem, weil der korrekte Sitz die Basis für alles weitere ist, wie Frau Reitlehrerin erklärt. Nur aus dem korrekten Sitz heraus ist feines Reiten überhaupt möglich, und wir alle wissen, was das in den Augen der Frau heißt: Piaffe! Und Olympia.
Die Frau ist also auf Kurs und heiß auf sitztechnischen Input, denn wenn sie ganz ehrlich ist, ist da doch noch Luft nach oben. Zum einen lassen die vom Mann unfachmännisch angefertigten Videos entsprechende Rückschlüsse zu, zum anderen ist es zwischendurch auch einfach unbequem.
„Und das soll sich nun ändern“, verspricht Frau Reitlehrerin. „Durch zentriertes Sitzen im Schwerpunkt.“
„Uiuiui. Und das hilft?“
„Das hilft“, verspricht Frau Reitlehrerin. „Stell dir vor, du hättest in deinem Becken eine Kugel.“
Jetzt geht das schon wieder los mit diesem esoterischen Hokuspokus, denkt die Frau und verdreht die Augen. Laut sagt sie: „Du hast immer so ausgefallene Ideen!“
„Das hab ich mir nicht selbst ausgedacht, das kommt aus dem Centered Riding von Sally Swift und wird sehr gut in ihrem Buch Reiten aus der Körpermitte erklärt“, antwortet Frau Reitlehrerin.
*
Ah so. Na dann. Wenn es dazu wirklich ein Buch gibt, ist es vielleicht nicht ganz so esoterisch wie zuerst vermutet. Die Frau ist besänftigt und konzentriert sich sehr doll auf ihr Becken.
„Du stellst dir vor, dass dein Becken eine Schüssel ist. Darin ist eine Kugel“, erklärt Frau Reitlehrerin.
Die Frau nickt zum Zeichen, dass sie genau das tut und bereit für weiteren Input ist.
„Und diese Kugel kannst du nach vorne rollen oder nach hinten, indem du dein Becken abkippst oder aufrichtest.“ Frau Reitlehrerin macht es vor und die Frau turnt nach. Nicht, ohne argwöhnische Blicke in die Runde zu werfen – wehe, einer lacht!
„Und jetzt gehst du mit deinem Becken in eine neutrale Position.“
Die Frau probiert herum, was sich neutral anfühlt und findet die gewünschte Beckenstellung.
„Als nächstes rollst du die Kugel nach rechts und nach links.“
„Das ist ja einfach“, jauchzt die sogenannte Besitzerin.
„Und jetzt machen wir das Ganze in der Bewegung“, fordert Frau Reitlehrerin auf und beruhigt die Frau, als sie deren erschrockenes Gesicht sieht: „Wir fangen im Schritt an.“
Ich verfalle in den Kirmespony-Modus und latsche stumpf um Frau Reitlehrerin herum, während die Frau auf meinem Rücken die Kugel in alle gewünschten Richtungen rollt.
„Als nächstes balancierst du die Kugel in der Mitte deines Beckens.“
Und ganz aus Versehen hat sich meine Reiterin entspannt und ihr OMMMM wiedergefunden, ohne überhaupt zu merken, dass sie es verloren hat. So ganz nebenbei sitzt sie zentriert mit langem Bein, auch im Trab, und spielt gedanklich mit der Kugel.
Ach ja, die Kugel. Vor lauter Konzentration auf diesen imaginären Ball ist seit geraumer Zeit weder das Wort Piaffe noch Olympia erwähnt worden und ich feiere das. Zauberei? Nein, gute alte Reitlehrer-Magie 😉
Merke: wenn das OMMMM verloren geht, einfach Frau Reitlehrerin fragen. Die weiß, wo es sich versteckt hat.
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