Sorgfältig drapiert die Frau ein T-Shirt über einem Haufen Pferdeäpfel, bevor sie sich in den Sand der Reithalle fallen lässt und genüsslich wälzt. Frau Reitlehrerin und der Mann stehen mit offenem Mund daneben und beobachten ihr sonderbares Treiben.
„Alles gut bei dir?“, ruft der Mann, der zwar von der Frau viel unsinniges Tun gewohnt ist, aber wahrnehmungstechnisch gerade an seine Grenzen kommt und überlegt, wo man auf die Schnelle eine Zwangsjacke besorgen kann.
„Ja, da staunt ihr, was?“, ruft die Frau. „Das ist Pferdesprache!“
Staunen ist noch untertrieben. Und was daran Pferdesprache sein soll, dass sie dem Mann T-Shirts aus der Schmutzwäsche geklaut hat, die sie jetzt auf den Pferdeäppeln verteilt, erschließt sich auch mir nicht so ganz. Aber egal. Nicht umsonst sagt man mir ein sonniges Gemüt nach. Ich wälze mich und knabbere versuchsweise an den Sprüngen und sonstigen Gerätschaften, mit denen sie die Reithalle in der Mitte abgesperrt hat.
„Und warum hast du die Halle unterteilt?“, erkundigt sich Frau Reitlehrerin.
„Das ist wichtig für die Kommunikation“, erklärt die Frau mit wichtiger Miene.
Aha. Frau Reitlehrerin guckt verständnislos. Aber da spricht die sogenannte Besitzerin schon weiter: „Ich hätte auch Litze oder Flatterband nehmen können, aber da weiß man beim Pfridolin nicht, wie er drauf reagiert. Manchmal fürchtet er sich, manchmal spielt er damit rum.“
„Kannst du ihm das denn nicht auf Pferdisch erklären?“, fragt der Mann interessiert.
Die Frau funkelt ihn böse an. Ich glaube, sie ist pferdisch mit den Nerven.
Vielleicht doch eine Zwangsjacke holen, überlegt der Mann. Schon wegen der Eigensicherung.
Ich habe mich währenddessen zu Frau Reitlehrerin gestellt, weil die nett ist und mich nicht rumscheuchen will. Anders als die Frau, die jetzt lustige Luftsprünge macht. Der Mann zuckt zusammen und denkt intensiver über die Zwangsjacke nach.
„Geht mal weg da, ich kann gar nicht mit dem Pfridolin sprechen“, ordnet die Frau an.
Frau Reitlehrerin und der Mann verkrümeln sich in eine Ecke, in der gerade nicht gehüpft wird. Ich gehe mit, weil es bei denen netter ist als bei der hopsenden Frau. Die sich übrigens gerade wieder wälzt. „Das hat alles mit der Dominanz zu tun“, verkündet sie mit gedämpfter, weil bodennaher, Stimme.
„Warum eigentlich dieses Dominanzgetue und Pferdchen spielen?“, erkundigt sich Frau Reitlehrerin. Die Frau fühlt sich mal wieder unverstanden und schweigt verstockt. Das beeindruckt Frau Reitlehrerin wenig. „Der Pfridolin weiß doch, dass du ein Mensch bist und kein Pferd. Wenn du ihn scheuchst, scheuchst du ihn auf Menschenart. Und besonders weit und schnell kannst du auch nicht laufen, weil du ein Mensch bist und kein Pferd.“
„Deshalb hab ich ja die Halle unterteilt“, murmelt die kleine Domina Frau, die sich ertappt fühlt. „Und außerdem war der Pfridolin frech zu mir.“
„Was hat er denn gemacht?“
„In meine Richtung geäppelt.“
„Wenn es halt raus musste.“ Der Mann zuckt die Achseln.
„Ich hab aber in meinen Wendy-Heften Pferdezeitschriften gelesen, dass es voll böse ist, wenn Pferde das tun.“
„Es kommt immer darauf an, in welchem Zusammenhang und mit welchem Ausdruck Pferde irgendetwas tun“, erklärt Frau Reitlehrerin. „Alles in allem ist der Pfridolin ein kluges und gutmütiges Pferd.“
Endlich jemand, der mich versteht! Ich selbst sage das zwar auch immer, aber es ist schön, wenn andere das auch so sehen.
„Es ist ja nicht so, als wäre er ein Killer“, findet auch der Mann.
„Ich will aber Chef sein“, erklärt die Frau mit dominantem Blick. „Der soll mich toll finden und gern für mich arbeiten.“
Ja nee, is klar. So wie du deinen Chef im Büro toll findest und gern unbezahlt für ihn arbeiten würdest, denke ich und verdrehe die Augen.
„So wie ich?“, fragt der Mann.
„Ja genau“, antwortet die Frau, der die Ironie in seiner Stimme entgeht. „Pferde machen ja auch dieses Dominanzdings miteinander. Da gibt’s einen Chef und alle anderen kuschen.“
„Ja, das hat man früher gedacht“, erwidert Frau Reitlehrerin. „Mittlerweile weiß man, dass die Beziehungen in einer gewachsenen Wildpferdeherde nichts mit Dominanz zu tun haben. Da geht es mehr um Erfahrung und Fähigkeiten als um Gewalt. Und um ein Netzwerk an Freundschaften.“
„Aber es gibt doch die Junggesellenherden“, wirft die Frau ein, die nicht kampflos aufgeben will. „Da gibt’s doch eine klare Rangordnung und Dominanzspielchen.“
„Ja genau – Spielchen. Auseinandersetzungen erfolgen meist spielerisch, weil eigentlich alles klar ist. Man kennt sich ja schließlich. Es gibt nicht die eine, alles entscheidende Situation, sondern man hat es dauernd miteinander zu tun, so dass sich viele Dinge einfach so ergeben.“
„Das hat bestimmt was mit der Persönlichkeit zu tun“, ahnt die Frau.
„Ganz genau. Verhalte dich so, dass du eine souveräne Führungspersönlichkeit bist, der man gern folgt“, empfiehlt Frau Reitlehrerin.
„Es schadet auch nichts, wenn man dich nett findet“, wirft der Mann ein, was die Frau mit einem bitterbösen Blick quittiert.
* Lustiger Pferdekrimi gefällig?
„Was auch wichtig ist“, fährt Frau Reitlehrerin fort: „Zusammengewürfelte Hauspferdegruppen sind keine gewachsene Wildpferdherde. Die verhalten sich untereinander ganz anders.“
Ich glaube, das ist eine Beleidigung, aber Frau Reitlehrerin erzählt so spannend, dass ich trotzdem bei ihr stehen bleibe und weiter zuhöre.
„Hauspferdegruppen zeigen manchmal untereinander sozial schädliche Verhaltensweisen. Zum Beispiel werden rangniedrige Pferde gejagt, obwohl sie den ranghöheren nicht zu nahe gekommen sind.“
„Siehste- es gibt wohl ranghohe Pferde!“, wirft die Frau ein.
„Es gibt ranghohe und rangniedrige Pferde“, bestätigt Frau Reitlehrerin. „Rangniedrige Pferde weichen den ranghohen und ordnen sich unter, wenn sie die Führungsqualitäten des anderen Pferdes anerkennen. Aber es gibt auch Freundschaften, die diese Hierarchie außen vor lassen.“
„Führungsqualitäten“, überlegt die Frau, die jetzt bei mir und dem Mann steht und Frau Reitlehrerin fragend anguckt. „Was mag das sein?“
„Zum Beispiel Erfahrung, Souveränität, mentale Stärke“, zählt die auf. „Welchen Rang ein Pferd einnimmt, hängt meiner Meinung nach von seiner Ausstrahlung und seiner Persönlichkeit ab.“
Schon wieder diese Persönlichkeit! Die Frau ahnt, dass es ab jetzt schwierig für sie wird. Seufzend hebt sie die T-Shirts auf, die auf den Äppelhaufen liegen und räumt die Hallenbegrenzung weg. Wie wird man bloß zu so einer souveränen Führungspersönlichkeit wie zum Beispiel … Frau Reitlehrerin?
Mit diesen Gedanken lasse ich sie allein und versuche, Frau Reitlehrerin davon zu überzeigen, dass sie mich dringend in ihre Herde aufnehmen muss.
Kleiner Tipp an die Frau: Pferde lernen durch Beobachtung. Ob das wohl auch eine Idee für Menschen ist? Aber jetzt muss ich los, Frau Reitlehrerin hat mir zugezwinkert 😉
Bild: Braucht kein Dominastudio, weil es schon die Weltherrschaft hat
Auch lesenswert: Tierfilmer Marc Lubetzki hat hier etwas über die Rangordnung bei Pferden geschrieben. Und Petra von der Pferdeflüsterei erklärt euch hier, warum Dominanz nicht der richtige Weg mit Pferden ist und wie man es besser macht.
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