Wir dürfen jetzt alles essen, was wir wollen! Die Frau nennt es ein Experiment. Sie hat in einem ihrer Wendy-Hefte gelesen, dass wir Pferde einen untrüglichen Instinkt haben und nur fressen, was uns gut tut. Gerade stellt sie auf unserem Paddock alle fünf Meter einen Futtertrog mit Äpfeln, Möhren und Hafer auf. Also würde sie, wenn sie der Lutschi ließe. So sind es halt umgekippte Futtertröge. Das sieht zwar nicht ganz so adrett aus, aber dafür ist die Frau umso flotter beim Nachfüllen.
„Herrlich, wie es ihnen schmeckt. Da merkt man doch gleich, wie toll so eine naturnahe Fütterung ist!“, jubelt die Frau. Frau Reitlehrerin, die sich das Ganze mal aus der Nähe angucken will, schlendert näher – Fragezeichen auf der Stirn. Die Frau befüllt währenddessen einen weiteren Futtertrog mit Birnen. „Ich füttere jetzt naturnah. Pferde kommen aus der Natur und müssen sich ihr Futter selbst suchen, weil sie genau wissen, was für sie gut ist“, erklärt sie mit wichtiger Miene. „Als verantwortungsvolle Pferdebesitzerin bilde ich mich nämlich ständig weiter und bin so auf dem aktuellen Stand der Forschung.“
„Kommt immer drauf an, wer forscht. Und wo“, antwortet Frau Reitlehrerin, die das sonderbare Treiben der Frau genauer unter die Lupe nimmt. Der Lutschi und ich haben mittlerweile die ersten Futterkübel geleert und wandern fünf Meter weiter zum nächsten. Hafer – köstlich! „Es gibt zum Beispiel mehrere Studien darüber, dass freilebende Wildpferde Hufrehe haben. Nicht nur die akute Form, sondern auch die chronische.“
Die Frau kann gerade nicht antworten, weil sie Bananen schält. „Lecker und bekömmlich“, erklärt sie, als sie damit fertig ist. „Gleich gibt’s noch Mandarinen, die mögen sie auch gern.“
„Am Stück?“, erkundigt sich Frau Reitlehrerin.
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„Natürlich nicht“, entrüstet sich die Frau. „Geschält und zerkleinert natürlich.“
„Wegen der naturnahen Fütterung“, erklärt Frau Reitlehrerin.
„Stimmt ja“, ruft die Frau und patscht sich die Hand vor die Stirn. „Moment, bin gleich wieder da. Nur schnell den Hafereimer nachfüllen. Man darf die Pferde nämlich nie in der Fütterung begrenzen, die wissen selbst, wieviel und was sie brauchen.“ Sie beginnt, wahllos irgendwelches Grünzeug zu rupfen und in Futtereimer zu füllen. Dabei erklärt sie: „Es gibt Pflanzen, die wir Menschen Giftpflanzen nennen. Die sind für die Pferde ganz wichtig, weil sie die wie Medizin fressen.“
„Da kommen wir dann in den Bereich der natürlichen Auslese“, bemerkt Frau Reitlehrerin.
„Wieso denn das, Pferde wissen instinktiv, was für sie gut ist!“, empört sich unsere sogenannte Besitzerin. „Wurmkuren gibt’s natürlich auch nicht mehr. Wildpferde kriegen ja schließlich auch keine.“
Ich persönlich feiere das. Der Lutschi nicht. Als bekennender Allesfresser freut er sich auch über eklig schmeckende Dinge, die einem ins Maul gespritzt werden. Dass er nicht auch die Verpackung mitfrisst, ist purer Zufall.
Frau Reitlehrerin ist es gewohnt, dass sie bei der Frau alles mehrfach sagen muss und wiederholt: „Es gibt Studien darüber, dass freilebende Wildpferde Hufrehe haben. Was gegen den berühmten Instinkt für gesunde Ernährung spricht, der Pferden immer mal wieder nachgesagt wird.“ Die Frau macht ein langes Gesicht und holt gerade Luft, um zu antworten, da kommt ihr Frau Reitlehrerin zuvor: „Und so ganz eigentlich sind Pferde Steppentiere. Eine naturnahe Ernährung wäre dann was?“
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„Dürres Steppengras“, murmelt die Frau zerknirscht.
„Sehr gut!“, lobt Frau Reitlehrerin. „In der Steppe wachsen nämlich so gut wie keine Mandarinenbäume oder Bananenstauden.“ Die Frau räumt eilig unser Buffet ab. Der Lutschi macht jetzt auch ein langes Gesicht. Ich halte dagegen und versuche es mit meinem niedlichen Keksgesicht, aber keine Chance. Wenn Frau Reitlehrerin dabei ist, gibt es keine Keksis. Und auch keine Äpfel und Bananen, wie ich betrübt feststelle.
„Hafer auch nicht“, erinnert Frau Reitlehrerin.
Murrend schleppt die Frau den letzten Futtereimer weg. Das lohnt sich eigentlich nicht, weil nicht mehr viel drin ist. Was sie umgehend Frau Reitlehrerin mitteilt, aber die ist wie immer konsequent. Kollektives Seufzen.
„Was auch prima ist: Dass du den Eimer mit den Giftpflanzen noch nicht verfüttert hast. Die Tierkliniken sind voll mit Pferden, die an Vergiftungen leiden. Jakobskreuzkraut, Eibe, Herbstzeitlose, Buchsbaum, Kirschlorbeer… such dir was aus. Und das waren jetzt nur die gängigsten Giftpflanzen. Es gibt noch viele, viele mehr. Und wenn die Pferde daran sterben, ist es eigentlich egal, wie man es nennt – Gift, Medizin, Instinkt, Horst – tot ist tot, und das wollen wir nicht.“
Die Frau nickt ergriffen und nimmt sich vor, Frau Reitlehrerin rechtzeitig vor dem nächsten Experiment um ihren Rat zu fragen. Und jetzt, wo ich weiß, wie knapp wir dem Tod von der Schippe gesprungen sind, hoffe ich, dass sie sich auch daran erinnert, wenn es soweit ist.
Aber die Futtertröge fehlen mir schon.
Bild: Viel essen macht barock!
Zum Weiterlesen:
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