Ausritt mit Barockpferd

Ich habe einen neuen Job! Obwohl ich ja als Freizeitpferd eigentlich gar nicht arbeiten darf. Aber weil ich versprochen habe, mich a) dabei nicht unnötig zu verausgaben, b) gleichzeitig aber das spanische Mähnenwunder ordentlich in Wallung zu bringen, hat die Gewerkschaft der Freizeitpferde schließlich doch zugestimmt. Und seitdem bin ich Personal Trainer und überwache den spanischen Pummel. Der muss nämlich Bauch, Beine, Po machen und ich passe auf, dass er sich auch tüchtig anstrengt.

Meistens finden die Übungseinheiten auf dem Paddock oder der Weide statt, aber manchmal geht’s auch raus, ins Gelände. Dann nascht die Frau vorher von den Beruhigungskräutern aus der Futterkammer und tut ganz souverän, aber das wisst ihr ja. Der Mann und ich kommen mit, um die Frau auf Gefahren (ich) oder landschaftliche Besonderheiten (der Mann) hinzuweisen. Und natürlich ist auch Frau Reitlehrerin auf Faxe dabei, um dem ganzen einen pädagogischen Anstrich zu verleihen.

Wir verlassen also gesittet den Hof und suchen die Wildnis auf, die Frau Reitlehrerin beharrlich „Ausreitgelände“ nennt.
Wenig später taumelt der Spaniokel wie ferngesteuert in die Botanik. Man hört Fressgeräusche. Und lautes Zetern der Frau, das aber immer leiser wird, je weiter der Lutschi in die Büsche vordringt. Manchmal hört man noch, wie Äste gegen ihren Reithelm schlagen. Und dann nichts mehr.

Stille.

*

Frau Reitlehrerin und der Mann sehen sich an. Der Mann zuckt die Achseln. Frau Reitlehrerin auch.

„Eigentlich müssten wir ja“, meint Frau Reitlehrerin.

„Jo“, meint der Mann. „Also hinterher ins Unterholz?“

Frau Reitlehrerin schaudert, aber nur kurz. Sie hat eine andere Idee und ruft: „Lutschi! Komm schnell her zu mir!“

Plötzliches Krachen im Gebüsch. „Auf den Lutschi kann man sich nämlich verlassen“, teilt Frau Reitlehrerin dem Mann mit.

Der nachfolgende Tierlaut lässt aber auch sie erblassen. Wen oder was haben der Lutschi und die Frau da bloß aufgeschreckt?
„Komm schnell“, lockt sie.

Das Krachen nähert sich. Ebenso die unheimlichen Geräusche, die sich nun als Wutschreie der Frau identifizieren lassen.

„So isser brav“, nickt Frau Reitlehrerin. Und zur Frau: „Bitte immer auf den Wegen bleiben, damit das Wild nicht gestört wird! Wie leicht kann da was passieren!“

„Dem Lutschi passiert auch gleich was“, murmelt die Frau bockig.

Weiter geht’s. Wir sind auf Asphalt angelegt und passieren kurz danach unfallfrei mehrere Grasbüschel.

„Ist halt ein Ess-Pferd“, meint Frau Reitlehrerin zur Frau, im Versuch, die angespannte Atmosphäre aufzulockern.

„S-Pferd? Ach wo, wir stehen doch noch ganz am Anfang der Ausbildung“, wehrt die bescheiden ab.

*
Für S-Pferde und alle anderen: Wunschschabracke selbst designen!

Es entsteht eine Gesprächspause, in der Frau Reitlehrerin, der Mann und ich uns angucken.

„Wehe, einer von euch lacht“, murmelt die Frau, die das irgendwie mitgekriegt hat. Um mit größerer Lautstärke und folgenden Worten fortzufahren: „Nein, nein, nein, lass das!“

Der Lutschi, der weiß, dass er gemeint ist (und eine Zeitlang gedacht hat, sein Name wäre „Nein“), guckt sie groß an. Zwischen seinen gierigen Zähnen verschwindet die neue Reitgerte der Frau.

Die beugt sich vor und versucht, ihm unter weiteren „NEIN!“-Rufen das rosaglitzernde Dings zu entwinden. Natürlich sind ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt, weil der Lutschi das neue Spielzeug nicht hergeben will. Also muss sie sich selbst vom spanischen Mähnenwunder herabbemühen, um ihm die Gerte vom Boden aus zu entreißen. „Gib die sofort her, die ist flatschneu!“

Der Lutschi hat ihr freundlicherweise sogar noch rosa Glitzer übergelassen. Ich weiß also nicht, wieso sie auf dem restlichen Ritt so schlechte Laune hatte.

Einmal hat sie dann doch gelacht. Das war, als ihr eine Fliege in den Mund geflogen ist und sie die nicht ausspucken konnte, weil sie gerade nicht genug Spucke hatte. Klar, oder? Wenn man mit offenem Mund rumreitet, verdunstet die halt schneller.

Sie hat aber nicht sofort gelacht. Als erstes hat sie „CHHHHHRRRRRR“ und „CHHH-HOOOOAAAH“ gesagt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war dann der Lutschi davon überzeugt, dass auf seinem Rücken ein gräßliches Alien sitzt, das ihn auffressen will. Vor Schreck sind ihm die Beine ganz weich geworden und er ist umgefallen.

Währenddessen erlangt die Frau durch ihre Stimmübungen einen gewissen Speichelfluss und spuckt die Fliege aus. Als nächstes rappelt sich der Lutschi auf und guckt immer wieder verstört die Frau an, die in unmelodisches Gelächter ausgebrochen ist.

Frau Reitlehrerin und der Mann sind beeindruckt. Zum einen hören sie die Frau selten lachen, zum anderen ist das Barockpferd situationsbedingt vorübergehend appetitlos. Die Frau hat aber sicherheitshalber auf dem restlichen Ritt den Mund nicht mehr aufgemacht. Frau Reitlehrerin meint, sie wäre wahrscheinlich auch appetitlos 🙂

Bildunterschrift: Hungriger Blick in die Ferne.

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