„Bitte nicht rascheln, ich reite gerade!“

Herbst, das ist die Jahreszeit, wo sich furchtlose Reiter und noch furchtlosere Reiterinnen auf ihre edlen Rösser schwingen und durch sturmgepeitschte Landschaften galoppieren. Herbst, das ist auch die Jahreszeit, in der meine sogenannte Besitzerin täglich ihre Beruhigungskräuter knabbert und sich zitternd wie Espenlaub in meinen Sattel hievt.

„Das ist nur die Kälte! Ich hab gar keine Angst“, giftet sie dabei den Mann an, der unternehmungslustige Geräusche macht, während er hinter ihr herräumt. „Würdest du das bitte sein lassen? Oder woanders tun?“

„Was denn?“

„Dieses Pfeifen und Summen. Dabei kann ich mich nicht konzentrieren.“

„Worauf denn?“ Der Mann zieht die Augenbrauen fragend hoch.

„Aufs Reiten. Der Pfridolin hat meine volle Aufmerksamkeit verdient“, antwortet sie hoheitsvoll. Kurze Info: Wir stehen noch an der Aufsteighilfe. „Kannst du vielleicht noch meine Jacke nehmen, mir ist jetzt doch nicht mehr kalt. Und häng sie nicht über die Bande, sonst…“

Mein Hals wird lang und länger. Gestern hing da noch nichts, da bin ich mir sicher.

„Oder gib sie mir wieder, mir ist jetzt doch…“

Gestern hat sich da auch kein Jackengespenst bewegt. Ich mache sicherheitshalber einen Satz zur Seite, für den Fall, dass ich die Frau vor irgendwas beschützen muss.

„… kalt“, beendet sie ihren Satz böse.

Der Mann will ihr die Jacke wieder anreichen, was ich durch geschickte Ausweichbewegungen zu verhindern weiß.

„Jetzt hör doch mal auf, hier rumzuzappeln, du machst den Pfridolin ja ganz nervös! Und nimm die blöde Jacke mit!“

„Ja dann…“, murmelt der Mann und verschwindet in der Sattelkammer.

„Männer. Wenn man die mal braucht. Mir ist kalt und keiner kümmert sich“, murmelt die Frau, während wir unsere Schrittrunden drehen.

*

Das kennt ihr, oder? Schritt. Ganze Bahn. Immer außen rum. Mindestens zehn Minuten, noch besser zwanzig Minuten lang. Die langweiligste Zeit des ganzen Tages. Aber nicht im Herbst! Da ist es angenehm kühl und alles raschelt und bewegt sich. Manchmal hört man sogar Schritte oder andere Pferde.

Was bei der Frau zuverlässig Spiralen in den Augen erzeugt. Argwöhnisch späht sie in jede Ecke und unter jedes Blatt, um Gefahrenquellen sofort zu orten und sie unschädlich zu machen.

Es raschelt. Sie quietscht laut auf. Ich weiß ja nicht, wie das bei euch so ist, aber bei plötzlichen lauten Geräuschen zucke ich immer zusammen.

„Bitte nicht rascheln, ich reite gerade!“

Schuldbewusst zuckt die Miteinstallerin, die gerade fegt, ebenfalls zusammen und gelobt Besserung.

Ring frei zur nächsten Runde. Es raschelt wieder. Ich spitze interessiert die Ohren, was die Frau kurzfristig an den Rand der Hysterie bringt. Bis sie den Übeltäter ausmacht. Hat es doch tatsächlich jemand gewagt, mit der Schubkarre am Reitplatz vorbei zu fahren. Frechheit!

„Bitte nicht rascheln, ich reite gerade!!“

„Ich raschle nicht, ich fahre zum Misthaufen“, rechtfertigt sich Miteinstallerin Nummer Zwei.

„Egal, das macht auf jeden Fall Krach. Und dann kann ich mich nicht konzentrieren. Der Pfridolin ist so sensibel, der braucht meine volle Aufmerksamkeit!“

Auf dem Paddock passiert irgendwas Gruppendynamisches. Ich recke den Hals, um nichts zu verpassen, was bei der Frau große Unruhe hervorruft.

„Nicht so laut, ich reite gerade!!!“ Ich kann es zwar nicht beschwören, aber ich glaube, das lässt meine Paddockkumpels ziemlich kalt.

Als dann noch jemand hustet, fällt sie vor Schreck fast vom Pferd. Irgendwie haben es alle auf sie abgesehen. So gemein und rücksichtslos!

Pferde sind sensible und schreckhafte Geschöpfe, und ihre Reiterinnen nicht minder. So oder ähnlich äußert sich Frau Reitlehrerin, die gerade den Reitplatz betritt. Die Frau heuchelt Unverständnis. Als ob sie Angst hätte! Haha!

Sie würde sich nur Sorgen um ihr edles Roß machen, das halt nicht immer so nervenstark wäre, wie sie sich das wünscht. Und dann wären die anderen Pferdebesitzer immer so rücksichtslos. Ganz schlimm, wirklich.

Frau Reitlehrerin schlägt vor, das edle Roß zu beschäftigen, damit es nicht in der Gegend herumguckt und sich ablenken lässt.

Ich sehe sie entsetzt an. Dein Ernst?, fragt mein Blick.

Sie lächelt beruhigend. „Die Aufwärmphase ist sehr wichtig und du machst das genau richtig. Wenn du den Pfridolin aus der Box holst, ist seine Gelenkflüssigkeit dick und zähflüssig , so dass die Gelenke nicht gut geschmiert sind. Und das verursacht Schäden am Gelenkknorpel. Deshalb sollte man das Pferd zu Beginn der Bewegungseinheit mindestens 10 bis 15 Minuten im Schritt bewegen, sonst sind Gelenkprobleme vorprogrammiert.“

Ha! Sie macht es genau richtig! Meine Reiterin strahlt.

Bis ein plötzlicher Windstoß durch die Bäume fährt und die Äste bewegt. Wie interessant, denke ich und beobachte das Baummonster scharf. Mit meinem DU-willst-MICH-fressen?-Dann-musst-du aber-früher-aufstehen- Blick. Die Frau erbleicht und hält sich vorsichtshalber an den Zügeln fest.

*

„Atmen!“, ruft Frau Reitlehrerin gutgelaunt. „Durch die Nase ein und durch den Mund aus. Und dann lässt du den Pfridolin mal ein paar Hufschlagfiguren gehen, damit ihm nicht mehr so langweilig ist. Fang mal mit Achten und Schlangenlinien an. Und immer schön auf Stellung und Biegung achten!“

Widerwillig gehorcht die Frau („Immer diese blöde Atmerei!“) und oh Wunder, innerhalb kürzester Zeit sind wir so mit unseren Kringeln beschäftigt, dass wir uns ganz aus Versehen entspannen.

„Diese Beruhigungskräuter können ja wirklich was“, strahlt die Frau am Ende der Reitstunde.

Ich gucke Frau Reitlehrerin an. Frau Reitlehrerin guckt mich an und wir beschließen, dass die beruhigende Wirkung der Kringelreiterei vorerst unser Geheimnis bleibt. Ganz zu schweigen vom Atmen 😉

Bild: Furchtloser Blick in den Herbstnebel

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